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Eine unleserliche Schrift und der liebe Gott

Wort zum Tage, 07.04.2025

Guido Erbrich, Leipzig

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In der Kirche liegen leere Zettel für Fürbitten. Daneben Stifte. Wer will, kann was schreiben und dann in eine Schale legen. Wir schreiben auch. Dann schaut mich unsere jüngste Tochter mit ihrem fertigen Zettel fragend an: "Was passiert, wenn man nicht ordentlich schreibt und Gott das nicht lesen kann?"

Was für eine Frage! Mal abgesehen davon, dass der liebe Gott wahrscheinlich kein allzu großes Schrifterkennungsproblem haben wird und er wohl selbst mit Mediziner- oder Juristen Krakeleien ganz gut klarkommt, gefällt mir die Frage unserer Jüngsten ausgesprochen gut. Weil sie sich mit dieser Frage aus ihrer eigenen Position als Schreibende heraus in die Rolle ihres Gegenübers begibt. Schließlich gibt es da ja jemanden, der das lesen soll. Also schlicht mit dem klarkommen muss, was andere Leute aufs Papier bringen.

Und ich fasse mich ein wenig an meine Nase. Hat sie meinen Zettel etwa gesehen? Mit der wunderbar schnell hingekritzelten Klaue, die mehrere Lesarten zulässt – wenn man was erkennt. Hoffentlich und wahrscheinlich nicht.

Meine Tochter fragt, als ob es das Normalste von der Welt wäre, sich in sein Gegenüber hineinzuversetzen; die andere Seite beim eigenen Tun nicht zu vergessen. Erst recht nicht den lieben Gott. Allerdings, so ganz typisch ist diese Haltung, über den eigenen Tellerrand zu blicken leider nicht. Wie schön wäre es auf unserer Welt, wenn jeder versuchen würde die Konsequenzen seines Handelns von Anfang an zu bedenken. In einem Klima des "auch mal in die andere Rolle Schlüpfens" lässt sich mit Sicherheit weit besser miteinander leben, als wenn jede und jeder nur versucht sich selbst zum alleinigen Maßstab zu machen.

Schreibe für deine Nächsten so, als ob du es selbst lesen müsstest.

Rede mit anderen so, dass Du es Dir selbst auch anhören könntest.

Handle an anderen so, dass Du es auch an Dir gerechtfertigt finden würdest.

Ein solches Miteinander-Umgehen hat natürlich auch Auswirkungen auf die Kritik- und Streitkultur. Gerungen wird dann eher um die bessere Lösung als um das Rechtbehalten. Beim Streit kommt es nicht nur zu einem Austausch an gegenseitigen Vorwürfen, sondern offen und ehrlich wird um ein neues Miteinander gerungen. Die Welt könnte so schön sein, wenn wir über unsere Schatten springen, und den anderen im Blick behalten. In der Bibel ist diese Haltung übrigens auch zu finden. Ziemlich zentral sogar: Liebe deinen Nächsten wie Dich selbst.

Und auch das ist ein Blick: Hin zum anderen Menschen und zu mir selbst. Lass es dem anderen so gut gehen, wie du es dir für Dich selbst wünschst. Und die Bibel sagt nicht "mache es irgendwie". Sie nimmt den Superlativ. Es geht um Liebe. Liebe zu mir und zum Nächsten. Mehr geht eigentlich nicht.

Über den Autor Guido Erbrich

Guido Erbrich, geboren 1964, ist Vater von vier Töchtern. Er lernte den Beruf des Tontechnikers bei Radio DDR und arbeitete bis 1987 beim Sender Leipzig. Danach schloss er ein kirchliches Abitur in Magdeburg ab. Sein Studium der Theologie führte ihn nach Erfurt, Prag und New Orleans. Im Bistum Dresden-Meißen war Erbrich bis 2002 Referent in der Jugendseelsorge. Danach wechselte er als Studienleiter und Referent ins Bischof-Benno-Haus nach Schmochtitz. Bis 2010 leitete Erbrich die Katholische Erwachsenenbildung Sachsen. Von 2010 bis 2020 war er Leiter der Heimvolkshochschule Roncalli-Haus Magdeburg. Seit 2020 ist er der Senderbeauftragte der Katholischen Kirche für den MDR.

Kontakt: Guido.Erbrich@bddmei.de