Unterwegs im Zug. Schräg mir gegenüber sitzt eine Frau. Sie schaut aus dem Fenster. Betrachtet sie wirklich die vorüberziehende Landschaft? Eigentlich schaut sie in sich hinein. Ihre Hand bewegt sich. Die Frau hält eine Perlenkette in den Fingern. Stück für Stück rutscht langsam eine Perle nach der anderen weiter. Mit dem Blick auf die Perlenschnur weiß ich: Die Frau betet den Rosenkranz.
Eine Legende erzählt von einem jungen Mann, der jeden Tag einen Kranz aus frischen Blumen vor ein Bild der Gottesmutter Maria legte. Als das nicht mehr ging, ersetzte er den Kranz aus Blumen durch einen Kranz von Gebeten. Den Rosenkranz. Diese Gebetskette der Christen besteht aus verschieden geknoteten Perlen und einem Kreuzanhänger. Das bekannteste Mariengebet – das Gegrüßet seist du, Maria – wird im Zehnerrhythmus und im Wechsel mit dem Vater unser gebetet.
Dazu gibt es kurze Einfügungen, die Ereignisse aus dem Leben von Jesus Christus in Beziehung zu seiner Mutter Maria setzen – glückliche Ereignisse, tragische, hoffnungsvolle. Ärzte haben herausgefunden, dass die immer gleiche Abfolge der Gebete bei den Betenden eine stabile Atmung und einen gleichbleibenden Herzschlag erzeugt. Beides zusammen schenkt innere Ruhe. Der Evangelist Markus berichtet über Jesus: In aller Frühe, als es noch dunkel war, stand er auf und ging an einen einsamen Ort, um zu beten (Mk 1;35). Das Neue Testament schildert oft, wie Jesus Menschen heilt und predigt; wie Menschenmassen kommen und den neuen Wundertäter sehen und hören wollen.
Und dann flieht Jesus – um in aller Ruhe zu beten. Das kann ich gut verstehen. In einem Alltag voller Termine und Pflichten fühle ich mich oft wie gehetzt und ausgelaugt. Dann möchte ich mich – wie Jesus – davonstehlen.
Einfach mal nichts tun reicht da nicht aus. Selbst an einen Ort der Ruhe nehme ich die innere Unruhe mit. Eine Atempause finde ich beim Rosenkranzbeten. Dann wandern die Gedanken in eine Welt, die meine Alltagserfahrungen mit den Erfahrungen aus biblischen Geschichten verbindet: Maria, die Gott ihre Liebe verspricht; Jesus, der geboren wird; Jesus, der leidet und stirbt und aufersteht.
Beim Rosenkranzbeten kann man zugleich ganz bei sich und ganz nah bei Gott sein. In aller Ruhe. Wie die Frau im Zug. Daran erinnert die katholische Kirche an jedem siebten Oktober. Heute ist Rosenkranzfest.