Die Klingel an meinem Fahrrad ist groß, rund und silbern und sie kann auch ganz schön laut sein. Ich benütze sie allerdings nur sehr selten. Und das, obwohl mir auf meinen vielen Wegen in der Münchner Innenstadt immer wieder Fußgänger vor die Nase laufen oder den Radweg blockieren. Statt mich dann lautstark bemerkbar zu machen, bremse ich lieber erstmal ab und hoffe, dass man mich wahrnimmt und ganz von allein den Weg freimacht. Es ist mir schlicht unangenehm, so laut auf mich aufmerksam zu machen, vielleicht jemanden zu verschrecken oder aufdringlich zu wirken. Und dann schüttle ich wieder über mich selbst den Kopf und wünschte mir ich könnte, wie Kinder beim Schlittenfahren, einfach lauthals schreien: "Aus der Bahn – Kartoffelschmarrn! Hier komme ich!"
Diese inneren Vorfahrt-Achten-Schilder, die einen so ungewollt ausbremsen gibt es nicht nur im Straßenverkehr. Auch im Umgang mit Arbeitskollegen kann es schwer sein, die Aufmerksamkeit auf sich und die eigene Leistung zu lenken. Im Freundes- und Bekanntenkreis verschafft sich manch anderer schneller Gehör und selbst übt man sich eher in Zurückhaltung. Und in der Familie, wo wir sehr empfindsam sind, fällt es oft besonders schwer zu rufen: "Alle mal aus der Bahn – hier komme jetzt ich!"
In der Zeit der Bibel kannte man zwar noch keine Fahrräder. Aber die Menschen machten mit Jesus Lebens- und Glaubenserfahrungen, die Mut machten auf sich selbst aufmerksam zu machen. Sie zeigten ihm Ihre Not, sie schrien um Unterstützung und sprengten damit oft genug die gesellschaftlichen Grenzen der damaligen Zeit. Im übertragenen Sinne könnte man sagen: Sie klingelten sich den Weg frei und zeigten sich. Sie brachten ihre Bitten lautstark an und eroberten sich so ganz neue Lebensmöglichkeiten.
Es ging damals und heute nicht darum, nur rücksichtslos auf sich selbst zu schauen. Die Geschichten von verzweifelten Unterprivilegierten und Hilfesuchenden sind vielmehr eine andauernde Einladung an den Menschen seinen Seelenmuskel der Selbstfürsorge zu trainieren. Und dem, was in einem selber tönt Gehör zu schenken und dann daraus Worte zu formen und sich mitzuteilen. Ohne die Angst sein Gegenüber abzuschrecken oder zu belästigen.
Denn eine gute Klingel steht nicht nur für "Bahn frei", sondern doch auch für ein vorsichtiges und aufmerksames Miteinander – nicht nur im Straßenverkehr. Du darfst deshalb auch deine innere Klingel immer wieder polieren und tönen lassen. Du darfst auf dich aufmerksam machen.