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Isenheimer Wunder

Wort zum Tage, 09.04.2025

Guido Erbrich, Leipzig

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Es war mein Highlight in den Sommerferien. Der Museumsbesuch in Colmar in Frankreich. Das berühmteste Stück, was einem dort unter die Augen kommt: der Isenheimer Altar von Matthias Grünewald. Millionenfach gedruckt, reproduziert, auf Karten, CD-Covern, Büchern zu finden. In schulischen Kunstunterricht muss man lange krank gewesen sein, um mit dem Bild nicht in Berührung gekommen zu sein. Ein Hauptwerk deutscher Malerei. Eigentlich war also gar nichts Neues zu sehen. Auf Überraschungen war ich nicht vorbereitet.

Und dann stehe ich vor dem Altar und das Staunen hört nicht auf. Welche Farbkraft, welche Schönheit und auch welcher Schrecken. Wunderschöne Bilder von Auferstehung und Geburt Jesu, aber auch Tod, Leid und Angst des sterbenden Jesus am Kreuz. Es ist ein Altar, den man mehrfach auf- und zuklappen kann.

Wenn wir Geschichten hören, stellen wir sie uns vor. Natürlich auch Bibelgeschichten. Künstler setzten diese inneren Bilder dann um und bringen sie auf die Leinwand. Sie zeigen das, was von der Geschichte bei ihnen ankommt. Bilder wollen die historische Realität nicht 1:1 abbilden, es sind ja keine Fotos. Aber gerade dadurch können sie viel mehr zeigen.

Aber Matthias Grünewald macht noch etwas. Er schaut mit den Augen derjenigen auf das Bild, für die er es malt. Und das sind vor allem Kranke eines Spitals. Es gehört dem Antoniter Orden, eine Laienbruderschaft, die in Isenheim Menschen pflegt, die an der Mutterkornvergiftung erkrankt waren. Mutterkorn ist ein Pilz, der Getreide befällt und häufig beim Mahlen nicht entdeckt wurde und so in das Mehl gelangt. Sein Gift löst brennende Schmerzen aus, verursacht innere Blutungen und Wunden. Wer die damals unheilbaren "Krankheit" bekam, litt unter andauernden schmerzhaften Krämpfen, Durst und Halluzinationen.

Matthias Grünewald malt Jesus mit den Symptomen dieser Krankheit. Und tagtäglich sehen die Patienten des Spitals: Jesus am Kreuz hat vergleichbare Leiden zu ertragen. Ein Trost? Vielleicht. Aber Grünewald malt mehr. die Konzeption des mehrflügeligen Altars gibt auch vor, dass am Sonntag und die ganze Osterzeit hindurch andere Bilder zu sehen sind. Kein Kreuz, dafür das großartige Bild der Auferstehung. Eine Explosion des Lichtes. Und mittendrin steht Jesus mit heilem Körper. Er hat den Tod überwunden. 

Die Botschaft dahinter an Kranken ist voller Hoffnung. "Wenn ihr schon leiden müsst wie Christus, dann werden ihr ebenso auferstehen wie er." Das Unsagbare, was die Bibel über Ostern schreibt, der Tod ist nicht das Ende – sondern steht am Beginn von etwas neuem, Matthias Grünewald hofft es malt, es. Mit einer Intensität, die bis heute nichts von ihrer Faszination verloren hat.

Über den Autor Guido Erbrich

Guido Erbrich, geboren 1964, ist Vater von vier Töchtern. Er lernte den Beruf des Tontechnikers bei Radio DDR und arbeitete bis 1987 beim Sender Leipzig. Danach schloss er ein kirchliches Abitur in Magdeburg ab. Sein Studium der Theologie führte ihn nach Erfurt, Prag und New Orleans. Im Bistum Dresden-Meißen war Erbrich bis 2002 Referent in der Jugendseelsorge. Danach wechselte er als Studienleiter und Referent ins Bischof-Benno-Haus nach Schmochtitz. Bis 2010 leitete Erbrich die Katholische Erwachsenenbildung Sachsen. Von 2010 bis 2020 war er Leiter der Heimvolkshochschule Roncalli-Haus Magdeburg. Seit 2020 ist er der Senderbeauftragte der Katholischen Kirche für den MDR.

Kontakt: Guido.Erbrich@bddmei.de