Reisetagebücher sind ein beliebter Lesestoff. Sie beschreiben nicht nur einen Weg sondern sprechen auch von den Erfahrungen, die jemand auf seinem Weg gemacht hat. In Erhart Kästners Reisetagebüchern geht es um Erfahrungen mit Wegen, die wir zwar alle gehen und die dennoch unsere ganz eigenen sind. Keine ausgetretenen Trampelpfade, sondern Wege, die erst durch unser Gehen zum Weg werden. Und das Ziel lockt uns auf den Weg; dass wir noch nicht am Ziel sind, macht gerade das Unterwegssein aus.
Reisetagebücher erzählen mir davon, den Weg achtsam zu gehen und nicht innerlich schon mit allem fertig zu sein. Wer einen Weg geht, weiß, dass es auf die richtige Richtung ankommt. Suchendes Herumlaufen ist ermüdender als Gehen in eine Richtung, für die man sich entschieden hat. Und das meint nicht nur das Gehen mit den Füßen.
Dass es nicht so ganz einfach ist mit der Richtung, das lehrte mich vor einigen Jahren meine Schwägerin. Sie wollte den Motorradführerschein machen und erzählte mir von ihren Fahrstunden. Sie sitzt auf einem Motorrad. Der Fahrlehrer fährt auf einem anderen Motorrad hinter ihr und gibt ihr durch Funk immer wieder Anweisungen. Eines Tages fährt sie zu Übungszwecken auf der Autobahn und bekommt vom Fahrlehrer die Anweisung, die nächste Abfahrt zu nehmen.
Also versucht sie mit aller Kraft, die schwere Maschine in die richtige Richtung zu bringen. Aber irgendetwas geht nicht so, wie sie es sich im Kopf gedacht hat. Statt sich in die Kurve zu legen, sieht sie die Mauer am Straßenrand immer näher auf sich zukommen – und leichte Panik steigt auf. Da ruft ihr der Fahrlehrer per Funk zu: Den Kopf nach rechts! – Und tatsächlich: in dem Augenblick, als sie den Kopf ganz in die Richtung dreht, in die sie auch fahren will, legt sich die schwere Maschine in die Kurve und es klappt.
Was für ein sprechendes Bild für unser Leben: Manchmal liebäugele ich mit einer Richtungskorrektur, weil ich merke, dass ich von der breiten Straße, auf der alle unterwegs sind, abfahren sollte. Und es passiert am Ende doch keine Korrektur, weil ich die Augen weiter auf meinen eingefahrenen Weg halte. Es ist ein wirklicher Unterschied, ob ich etwas tun möchte oder ob ich etwas tun will. Wenn ich es möchte, schiele ich vielleicht nur ein wenig in die gewünschte Richtung und bleibe doch da, wo ich gerade unterwegs bin. Wenn ich es wirklich will, muss ich mich schon ganz in die neue Richtung drehen, um die Kurve zu kriegen.