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Welttag der Kranken

Wort zum Tage, 11.02.2025

Diakon Paul Lang, Amöneburg

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Beethovens 9. Sinfonie steht auf dem Programm, fast 100 Musiker spielen. Gespannt folgen die Blicke der zahlreichen Zuhörer dem Dirigenten. Sie gleiten über die Musiker, die Streicher, Bläser. Ein Genuss für Augen und Ohren. Nur hin und wieder geht ein Raunen durch die Reihen.

Der arme Dirigent, denke ich, das arme Orchester: Das leise Zischeln des Publikums werden sie ebenfalls wahrnehmen. Aber sie kennen den Grund dafür nicht. Anders als die Akteure auf der Bühne haben wir Zuhörer nämlich einen weiteren Blickfang. An den Seiten des Saals sind große Monitore. Darauf zeigt die Bildregie immer wieder den Ehrengast des Abends, vorne in der ersten Reihe. Ein alter Mann, zusammengesackt auf einem als Thron stilisierten Rollstuhl. Auf dem Kopf ein kleines weißes Käppchen, ein sogenannter Pileolus, bekleidet mit einer weißen Soutane. Es ist Papst Johannes Paul II. 

In Jahrzehnten der Zusammenarbeit haben die Kameraleute des Vatikans gelernt, seine Reaktionen einzufangen, seine Gestik, sein ausdrucksstarkes Minenspiel. Auch in seinen letzten Lebensjahren und  -wochen.

Irgendwann während Beethovens Sinfonie nickt der Papst ein. Vergrößert auf den Monitoren löst das verhaltene Heiterkeit aus. Da aber hebt der alte Mann den Kopf kaum merklich an, öffnet langsam die beiden Augen, blickt direkt in die Kamera. Alle halten den Atem an: Was wird jetzt geschehen? Ein verschmitztes Lächeln huscht über das alte Gesicht, dann ein Augenzwinkern. Verhaltenes Lachen durchzieht die Audienzhalle.

Ein Augenzwinkern. Es gibt zu verstehen: Ich bin da, ich nehme Euch wahr, ich stehe mit Euch in Kontakt. Auch wenn ich alt bin und nicht mehr alles so beherrsche wie früher. Mag sein, dass die Kräfte meines Körpers nachgelassen haben. Mag sein, dass auch mein Geist müde geworden ist und vergesslich – und nicht mehr so wach, wie er es einmal war. Aber ich bin da. Ich gehöre zu Euch. Auch als alter Mensch, als Mensch mit Einschränkung, als Kranker, vom nahen Tod gezeichnet.

"Seine Botschaft ist: Auch die Schwachen, die Alten, die, die nicht mehr viel leisten können, sind wichtig, sie gehören dazu." Das sagt mir ein junger Journalist, mit dem ich nach dem Konzert ins Gespräch komme.

Vor den Augen der Öffentlichkeit alt werden, alle Kräfte verlieren, das ist ein Lehrstück seines Lebens, denke ich. Heute ist der "Welttag der Kranken". Wenn ich einem alten oder kranken Menschen begegne und merke, dass manches nicht mehr so geht wie früher, erinnere ich mich manchmal an dieses Augenzwinkern. Es sagt mir: "Da ist eine Schwelle zwischen uns, aber ich bin da. Hier drüben. Keine Sorge."

Danke, lieber Johannes Paul, für dieses Lehrstück.

Über den Autor Paul Lang

Paul Lang, geboren 1963, unterrichtet als Lehrer Latein, kath. Religion und Musik. Er lebt und arbeitet in Amöneburg bei Marburg. Der promovierte Musikwissenschaftler wurde 2014 in Fulda zum Diakon geweiht. Neben seiner Tätigkeit in der Schule bedeutet das die Übernahme vielfältiger Aufgaben in der Seelsorge in der Region. In seiner Freizeit wirkt er in der Leitung von zwei Chören mit, spielt Orgel und ist gerne auf Reisen, am liebsten mit dem Rennrad.

Kontakt: paul.lang@bistum-fulda.de