In einem Buch des brasilianischen Schriftstellers Paulo Coelho las ich eine Anekdote über den Pianisten Arthur Rubinstein. Offensichtlich galt dieser bei seinen Freunden als etwas knauserig, wie Coelho erzählt: Eines Tages kam Rubinstein zu einem Treffen mit Freunden, bestellte ein teures Essen und zahlte den hohen Betrag ohne mit der Wimper zu zucken. Auf den erstaunten Blick der Freunde hin sagte er: "Ihr wundert euch sicher. Aber heute war ich beim Anwalt, um mein Testament zu machen."
Er zählt auf, wem er etwas vermacht hat: Ein Großteil seines Besitzes geht an seine Tochter, an seine Verwandten und an mehrere Wohltätigkeitsorganisationen. Und da merkt er ganz plötzlich, dass er selbst in seinem Testament ja gar nicht vorkommt und völlig leer ausgeht. Seine Quintessenz: "Da habe ich beschlossen, großzügiger mit mir selbst zu sein."
Was für eine erstaunliche Erfahrung! Eigentlich ist das ja genau der Sinn eines Testamentes, dass es meine Besitztümer an andere verteilt und nicht an mich. Wo liegt dann die Überraschung? Vielleicht darin, dass Arthur Rubinstein bei der Verteilung seines Besitzes plötzlich die eigene Endlichkeit vor Augen hat? Dass er erkennt, dass ein Testament ja erst in Kraft tritt, wenn es ihn, so wie er jetzt lebt, gar nicht mehr gibt? Dass er mit seinem ganzen Besitz nach seinem Tod ja nichts mehr anfangen kann? Dass wir irgendwann sterben, ist wohl jedem Menschen klar. Aber eben – irgendwann. Sich konkreter mit dem eigenen Ende zu beschäftigen, lässt mich auch etwas intensiver über das nachdenken, was denn vor diesem Ende ist.
Ein Testament aufzusetzen ist tatsächlich eine spannende Angelegenheit. Was hinterlasse ich alles, wenn ich mal sterbe? Was macht mein tatsächliches Vermögen aus? Und dabei geht es nicht nur um materielle Dinge. Ein Testament zu machen, hilft, meinen Bestand zu ordnen: Da sind auch im übertragenen Sinn "Erbschaften", die ich versuchen sollte, loszuwerden. Da sind "Schuldkonten" anderer, die ich längst schon hätte schließen sollen. Da sind Schätze verborgen in meinem alltäglichen Beziehungsleben mit anderen, die ich schon jetzt austeilen könnte. Denn sie lassen sich nicht testamentarisch festlegen – wie zum Beispiel "Zeit für den anderen"; ein Lächeln, wo jemand auf Zuwendung wartet; ein Wort, das jemanden aufrichtet. Wirklich, ein Testament hält mir nicht nur mein Ende vor Augen, sondern mehr noch mein Leben, das ich großzügiger mir selbst und anderen gegenüber leben könnte.