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Glück

Wort zum Tage, 11.11.2023

Andreas Hauber, Ellwangen

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Schon als kleiner Junge bin ich immer gerne auf Bäume gestiegen. Das habe ich heimlich gemacht, weil ich wusste, dass die Erwachsenen es mir verboten hätten. Nicht aus Bosheit, mehr aus Sorge, wie mir heute klar ist, weil ich selbst furchtbar in Sorge bin, wenn ich ein Kind irgendwo herumkraxeln sehe.

Ich wurde immer besser darin, stieg immer höher hinauf. Waren es am Anfang relativ niedere Apfel- oder Birnbäume gewesen, so stieg ich mit der Zeit auf immer höhere: Auf Linden, Kastanien, auch auf Buchen und Eichen. Später erweiterte ich meine Ziele, stieg auf Felsen und auf Strommasten. Ich hatte nie Angst dabei. Ganz im Gegenteil, sobald ich vom Boden abgehoben bin, war da so eine tiefe Ruhe in mir. Ich hatte eine unerschütterliche Gewissheit, dass nichts passieren wird. Ja, man kann sagen, es war ein tiefes Vertrauen da. Oder auch nur Glück, auf das ich mich verlassen hatte. Es hat auch Tage gegeben, an denen ich mir überhaupt nicht sicher gewesen bin. Dann bin ich nirgends hochgestiegen. Denn ich brauchte, um loszulegen diese Ruhe, diese Sicherheit. Das Bewusstsein, dass ich mich auf mein Glück verlassen kann.

So ist das viele Jahre, ja eigentlich mein ganzes Leben lang gut gegangen. Bis ich vor einiger Zeit eine kleine Felswand hinaufgestiegen bin. Sie war nicht sonderlich schwierig und ich glaubte, jeden Stein, jeden Tritt und jeden Griff in- und auswendig zu kennen, weil ich sie schon oft erklommen hatte. Ich bin also hochgestiegen und alles lief wie immer. Plötzlich brach aber ein Griff aus, ich verlor den Halt und rutschte ab. Ich fiel oder besser rutschte an der Wand gute sechs Meter nach unten, bis ich irgendeinem Reflex folgend mich an einer Felsschuppe festhalten konnte. Genau an der richtigen Stelle, wäre ich weitergerutscht hätte es kein Halten mehr gegeben. Als ich den ersten Schreck überwunden und erkannt hatte, dass ich unverletzt war, stieg ich wieder weiter bis nach oben. Dort setzte ich mich hin und verschnaufte.

Ich war mir beim Einsteigen so sicher gewesen, dass nichts passieren kann. So wie immer. Und dennoch war ich abgerutscht. Mein erster Gedanke, meine erste Sorge war, dass ich nun meine Sicherheit, mein Glück verloren hatte. Das, worauf ich mich Jahrzehnte lang hatte verlassen können. Gleichzeitig begriff ich, dass ich unheimlich Glück gehabt hatte, mich noch halten zu können.

Nach einer längeren Pause habe ich wieder mit der Kletterei angefangen. Aber anders. Vorsichtiger. Bedachter. Denn ich weiß bis heute nicht genau, ob mich mein Glück verlassen hatte oder ob ich mehr hatte, denn je.

Über den Autor Andreas Hauber

Es ist eine große Herausforderung über Gott zu sprechen. Ich denke, dass man ihn mit Worten nicht fassen kann, dass alle Begriffe abrutschen und ihr Ziel letztlich verfehlen. Sprechen über Gott kann nur eine Annäherung sein. Das versuche ich auch mit meinen Beiträgen: Mich ihm anzunähern. Ich speise meine Texte aus meinem Leben, aus dem was mir begegnet und was mich umtreibt. Das setze ich in Beziehung zu meinem Glauben. Ich war immer neugierig, wollte immer so viele Facetten des Lebens wie möglich kennenlernen. Vielleicht ist das an meinem beruflichen Werdegang abzulesen. Ich bin gelernter Krankenpfleger, habe Theologie und Philosophie studiert, war 5 Jahre auf einer Berghütte, dann in der Flüchtlingsarbeit tätig, dann Betreuer für einen jungen Mann mit Handicap und noch manches mehr, derzeit arbeite ich auf dem Bau. Ich lebe wieder in Ellwangen, wo ich 1980 auch geboren wurde.