In einer Geschichte aus dem Buch Numeri im Alten Testament wird davon erzählt, wie sich vor mehr als 3000 Jahren im Gebiet zwischen dem Toten Meer und der syrisch-arabischen Wüste tausende Nomaden versammeln. Zelt reihte sich an Zelt, Viehherden weiden in der Steppe und werden zur Tränke an den Jordan geführt.
Grund für diese Versammlung war der Auftrag Gottes an einen Mann namens Mose, unter den Angehörigen des Volkes Israel eine Volkszählung durchführen. Am Ende einer langjährigen Wüstenwanderung sollte das fruchtbare Land aufgeteilt werden – möglichst gerecht und je nach der Größe der jeweiligen Familie.
Also begaben sich die Oberhäupter der Großfamilien der Reihe nach zu Mose und gaben die Zahl ihrer Angehörigen an. Es waren nichts als Männer – bis auf fünf Frauen, die ganz am Ende der langen Reihe standen.
Unter den Männern kam Unruhe auf. Was hatten die Frauen hier zu suchen? Es waren fünf Schwestern, die keine Brüder hatten und deren Vater verstorben war. Sie kamen zu Mose, um ihr Recht auf Grundbesitz anzumelden. Die fünf Schwestern wollten nicht anders als die Söhne anderer Familien behandelt werden. So viel Selbstbewusstsein von Frauen in einer Zeit, in der nur Männer zählten und gezählt wurden, scheint ungewöhnlich. Unmöglich war es offensichtlich nicht.
Damit stand Mose vor der Herausforderung, in dieser Angelegenheit Rechtsfrieden und Gerechtigkeit für alle zu erreichen. Als kluger Anführer des Volkes Israel, so beschreibt es die Bibel, "übergab Mose ihre Rechtssache dem Herrn" (Num 27,5). Und Gottes Urteil lautete: Die fünf Schwestern sollten wie die Männer anderer Familien Grundbesitz erhalten und erbberechtigt sein. Mose hatte Gott nach seinem Willen gefragt und war seinem Rat gefolgt.
Für mich entsteht hier ein großartiges Gottesbild. Offensichtlich musste Mose keine Erklärungen abliefern. Gott war nicht irgendwo weit weg. Gott war mit seinem Volk Israel durch die Wüste gezogen. Er kannte und kennt die Sorgen und Probleme der Menschen. Aber er griff damals zunächst nicht ein – und tut es auch heute nicht. Er ließ und lässt den Menschen die Freiheit der Entscheidung. Aber er ist da, wenn sie ihn um Rat fragen.
Es zeugt von der menschlichen Größe des Mose, als Anführer eines Volkes nicht vorschnell zu entscheiden. Man könnte sagen: Im Interesse des Gemeinwohls über den eigenen Tellerrand zu schauen. Offen für Neues zu sein. Den Blickwinkel zu ändern. Oder eben einfach: Nach Gottes Willen zu fragen.