Sind Sie schwindelfrei? Unsere Kirche - eine neugotische Basilika aus dunklem Sandstein – hat im Inneren einen schmalen Umgang. Der befindet sich in 6 oder 7 Metern Höhe, am unteren Ende des Gewölbes. Nur ein einfacher Handlauf aus Metall sichert ihn.
Als ich 12 oder 13 Jahre alt war, habe ich ihn zum ersten Mal umrundet. Zwei jugendliche Begleiter, einige Jahre älter als ich, haben mich dabei in die Mitte genommen. Ohne sie wäre ich nach wenigen Metern umgekehrt. So aber war mir der Rückweg versperrt und eine Blöße geben wollte ich mir natürlich auch nicht.
Eine seltsame Erfahrung: Ein Weg, nicht schmaler als manch anderer, den ich jeden Tag gehe. Aber er ist mit düsteren Gedanken besetzt: "Du könntest ausrutschen." Oder: "Du könntest hinunterstürzen." Sie machen ihn zu etwas Bedrohlichem, als wenn von der Tiefe selbst eine Anziehungskraft ausginge. An diese Erfahrung muss ich denken, wenn etwa J. K. Rowlings Harry Potter in seinen Abenteuern vom dunklen Lord Voldemort magisch angezogen wird oder in Tolkiens "Herr der Ringe" lähmende Kräfte die Helden am Erreichen ihrer Ziele hindern.
Dunkles, Unheimliches, Bedrohliches kann Macht über mich gewinnen. Diese Erfahrung ist menschheitsalt. Früher hätte man sie mit Begriffen wie "Dämonen" oder "bösen Geistern" belegt. Auf dem Isenheimer Altar in Colmar sieht man drastisch wie der Mönchsvater Antonius von solchen Monstern gequält, hin und her gerissen wird. Seine Lebensbeschreibung schildert eine Erfahrung seiner Jugend so. Sein Bemühen, Gott zu suchen, wird in der Wüste durch sie hart und grausam auf die Probe gestellt. Während Freunde ihn ergreifen, um ihn den Qualen zu entziehen, besteht Antonius darauf, sich ihnen zu stellen und sie so dauerhaft zu bezwingen.
Dämonisches gibt es, denke ich, nicht nur in der Vita des Antonius oder an Abhängen. Solche Ungeister melden sich bei mir, wenn ich auf jemanden treffe, den ich nicht mag. Argwohn kann mich in seinen Bann bringen. Zorn, Konsum, Ängste haben so gesehen für manche auch Dämonenhaftes.
Der hl. Antonius erfährt: Ich kann das beherrschen. Es liegt an mir, beängstigende Bilder und Bedrohliches in mein Inneres zu lassen. Ich kann dunklen Gedanken Einhalt gebieten. Das braucht Training. Rückschläge muss ich wegstecken. Zutrauen zu mir selbst ist wichtig, Willenskraft.
Den Umgang in unserer Kirche gibt es immer noch. Manchmal betrete ich ihn. Nicht jeder muss lernen, Höhenangst zu überwinden. Aber die Erfahrung, dass ich Bedrohlichem nicht machtlos ausgeliefert bin, dass ich Dingen, die sich meiner bemächtigen wollen, widerstehen kann, die ist mir wichtig geworden. Die nehme ich mit in einen neuen Tag, weil ich weiß, dass er auch Schweres bereithalten kann.