Vor Kurzem wurde sie mit dem Bundesverdienstkreuz Erster Klasse im Roten Rathaus in Berlin ausgezeichnet. Auch ich werde meine Begegnung mit ihr nie vergessen: Mit der inzwischen 101-jährigen Holocaust-Überlebenden Margot Friedländer.
Für ein Interview durfte ich sie im vergangenen Sommer in ihrer Wohnung in Berlin besuchen. Eine warmherzige und hellwache Person, die das dunkelste Kapitel deutscher Geschichte miterleben musste. Sie hat die Nazidiktatur nur deshalb überlebt, weil sie als jüdisches Mädchen in Berlin 16 Mal von ihr bis dahin fremden Menschen versteckt wurde.
Sie zeigte mir den Judenstern, den sie auch an jenem Tag tragen musste, als sie sich dazu entschieden hatte in den Untergrund zu gehen. Dazu eine Bernsteinkette und ein kleines Adressbuch als Hilfe für die Flucht – das Einzige, was Margot Friedländer 1943 von ihrer Mutter blieb, die genau wie ihr Bruder in Auschwitz ermordet wurde. Margot Friedländer hingegen überlebte, dank der Zivilcourage von Berliner Bürgern. Mehrmals stand die Gestapo vor der Tür ihrer Helferinnen und Helfer.
Margot Friedländer schaut mich eindringlich an als sie mir über ihre Retter sagt: "Es hätte sie den Kopf kosten können. Aber sie sind Menschen geblieben, deshalb sage ich: Mensch sein ist das Wichtigste." Das sagt Margot Friedländer bis heute: "Mensch sein ist das Wichtigste". Und obwohl Menschen ihr so viel Schlimmes angetan haben, sagt sie sogar: "Ich habe Menschen sehr gerne. Ich glaube, dass in jedem Menschen etwas Gutes ist." Bei ihren Worten bekomme ich jetzt noch Gänsehaut.
Ihre Religion, das Judentum, und meine Religion, das Christentum, haben gemeinsame Wurzeln. Ich frage Margot Friedländer, ob sie nach allem, was sie erlebt hat, noch an einen Gott glauben kann und ihre Antwort berührt mich sehr. Sie sagt: "Ich glaube an Gott […]. Das gibt mir sehr viel Kraft."
Sie, die Jüdin und ich der Christ sind Geschwister im Glauben. Wir glauben an einen gemeinsamen Schöpfer. Und darum glauben wir an die Geschwisterlichkeit aller Menschen – unabhängig von ihrer Herkunft, Hautfarbe, Religion, sexuellen Orientierung oder ihres Geschlechts. Über ihre religiöse Praxis sagt mir Margot Friedländer: "Ich bete auch jeden Abend ein kleines Gebet, vielleicht freut er sich darüber."
Ich glaube, dass sich dieser Gott vor allem darüber freut, dass Margot Friedländer auch mit 101 Jahren noch Menschen für Menschlichkeit sensibilisiert. Zum Beispiel wenn sie in Schulklassen geht und sagt: "Seid Menschen. […] Ihr könnt nicht alle lieben, müsst ihr auch nicht, aber Respekt – gebt Menschen einen Respekt, denn wir kommen ja alle auf dieselbe Art und Weise auf diese Welt, alle, alle!"