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Zu viel Sorge

Wort zum Tage, 13.04.2023

Diakon Paul Lang, Amöneburg

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Eine malerische Küstenstraße säumt die türkische Riviera. Antike Ruinen, Kirchtürme, Burgen und Minarette, dazu traumhafte Aussichten. Zwischen Mersin und Alanya taucht unversehens im Dunst der Meeresküste die Silhouette einer scheinbar ins Meer gebauten Festung auf: Die Seeburg Kızkalesi. Mit ihren steilen Türmen und Mauern, die direkt aus den Inselfelsen emporzuwachsen scheinen, hat sie zu allen Zeiten die Fantasie der Menschen angeregt. Auch ein Märchen rankt sich um sie: Einem König sei geweissagt worden, seiner Tochter drohe Unheil.

Schon in zartem Alter werde sie an Gift sterben. Der König, außer sich vor Sorge um sein Kind, beschließt, sie zu ihrer eigenen Sicherheit in dieser Burg unterzubringen. Aus der Ferne seiner Residenz beobachtet er mit väterlicher Liebe, dass niemand ihr schaden kann, und sorgt sich um sie. So schickt er ihr eines Tages einen Korb mit den schönsten und besten Früchten seiner Gärten. Der Korb erreicht die Insel, doch zwischen den Früchten hat sich eine Giftschlange verborgen. So ereilt die Prinzessin das vorhergesagte Unheil. Und der König selbst ist verantwortlich dafür.

Das Märchen macht mich betroffen. Es ist ja so, dass in jedem Märchen wahre, tiefe menschliche Sorgen und Nöte verborgen sind. Wir Menschen wollen Sicherheit, wir fürchten Unheil und Krankheit, jede Bedrohung, ganz besonders den Tod.

So ersinnen wir großartige Dinge, um uns zu schützen: Einbruchsichere Haustüren und Fenster, Diebstahlsicherungen für Autos, wir überprüfen unsere Ernährung auf ihren Gesundheitswert, schließen Versicherungen ab für und gegen möglichst viele Wechselfälle des Lebens. Keine Frage – vieles davon ist berechtigt. Mit aller Sorge können wir aber eben doch nicht alles bestimmen: nicht das Wetter im Urlaub, nicht den Verlauf eines Tages, einer Begegnung, nicht unseren Lebensweg – egal wie viel wir planen, das meiste entzieht sich unserem Zugriff.

Der König im Märchen von Kızkalesi tut mir Leid. Und erst seine Tochter! Da meint es der Vater doch nur gut, und das arme Kind wird eingekerkert, fern von den blühenden Gärten zuhause, in einer uneinnehmbaren Festung. Und mitten in dieser so gut gemeinten Zuneigung bahnt sich Unheil an.

Nach einiger Zeit habe ich verstanden: Was dem König fehlt, sind Gelassenheit und Augenmaß. Dazu möchte das Märchen von Kızkalesi raten, meine ich: "Du kannst nicht alles bestimmen. Lass geschehen, was geschieht." Und: "Achte darauf, dass Du mit Deiner wohlmeinenden Sorge nicht größeres Unheil anrichtest als Du verhinderst." Gelassen sein. Das ist, meine ich, ein guter Start in den neuen Tag.

Über den Autor Paul Lang

Paul Lang, geboren 1963, unterrichtet als Lehrer Latein, kath. Religion und Musik. Er lebt und arbeitet in Amöneburg bei Marburg. Der promovierte Musikwissenschaftler wurde 2014 in Fulda zum Diakon geweiht. Neben seiner Tätigkeit in der Schule bedeutet das die Übernahme vielfältiger Aufgaben in der Seelsorge in der Region. In seiner Freizeit wirkt er in der Leitung von zwei Chören mit, spielt Orgel und ist gerne auf Reisen, am liebsten mit dem Rennrad.

Kontakt: paul.lang@bistum-fulda.de