Schon lange begleite ich als Seelsorgerin Beerdigungen. Die spielen sich häufig nach althergebrachten Mustern ab: ein Schwarzweiß-Foto des Verstorbenen, traurige Musik, Blumen, ernste Mienen, Aufzählung der Verdienste, etwas Erde oder Blumen ins Grab, und so weiter ... Die alten Rituale sind wie ein Geländer, an dem man sich in dieser Extremsituation festhalten und entlanghangeln kann. Immer wieder aber suchen Angehörige auch nach neuen Ausdrucksformen, nach Texten und Zeichen, die auf sie persönlich zugeschnitten sind, die ihre Art zu leben spiegeln. Anfangs war ich skeptisch – inzwischen habe ich den Reichtum in der Herausforderung entdeckt.
Ich denke an die Frau, die zur Trauerfeier für ihren Mann das Lied "Junge, komm bald wieder" abspielen wollte. Noch ehe ich etwas einwenden konnte, erklärte sie mir: "Ich weiß, dass er nicht wiederkommt. Aber er hat das Lied immer so gern gehört – und wenn ich es jetzt höre, fühle ich mich ihm ganz nah." Und nach einer Pause – verschmitzt lächelnd: "Und dann ist er ja doch irgendwie wiedergekommen." Es entspann sich ein dichtes Gespräch darüber, was es bedeutet, wenn man nicht wirklich an Auferstehung glauben kann und sich zugleich danach sehnt, dass was dran ist an dieser Geschichte.
Oder: Die Beisetzung eines 18-Jährigen. Sein Bruder schickte per Handy einen Rap: "Das soll unbedingt gespielt werden." Ich habe nichts verstanden – weder akustisch noch inhaltlich. Ein anderer Jugendlicher hat mir eine Übersetzungshilfe geliefert. Und siehe da: Es tat sich eine Wirklichkeit auf, die ich bis dahin nicht kannte! Starke Aussagen, eine Tiefe, Sehnsucht, Hoffnung, die ich nicht erwartet hatte – eine spirituelle Dimension, mit der ich nicht gerechnet hatte, die mich berührte.
Bei einer anderen Trauerfeier waren viele gekommen, die noch nie oder lange nichts mit Kirche und Gottesdienst zu tun hatten. Ich habe zur Einleitung des Vaterunsers gesagt, dass es mir wichtig ist, jetzt mit diesen jahrhundertealten Worten zu beten, dass sie für mich so etwas wie eine verlässliche Krücke sind, um meine Sorgen und meine Hoffnung irgendwie zum Ausdruck zu bringen. Einige haben mitgebetet. Später dann kommt einer von ihnen auf mich zu: "Wissen Sie, ich bin 68er, als Jugendlicher aus der Kirche ausgetreten und habe damit schon ewig nichts mehr am Hut. Aber vorhin das Vaterunser, das hat mir gutgetan!"