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Ein gutes Buch

Wort zum Tage, 14.04.2023

Diakon Paul Lang, Amöneburg

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"Was macht ein gutes Buch aus?" Mein Gegenüber denkt einen Augenblick nach, dann antwortet er bedächtig: "Ein gutes Buch ist das, das Du gerne und mit Gewinn noch ein zweites Mal liest." Und er ergänzt: "Alle anderen waren es nicht wert, auch nur einmal gelesen zu werden."

Eine harte Aussage des von mir so wertgeschätzten alten Freundes der Bücher. Ich habe seinen Satz nicht vergessen. Einige Bücher stehen bei mir im Regal, die ich zweimal oder mehr gelesen habe. Oft sind das genau die Bücher, die mir am Anfang gar nicht gefallen wollen, weiß ich heute: Wie der Autor etwas erzählt, was seine Helden denken und wie sie entscheiden! Gerade das aber macht sie für mich auf Dauer wertvoll, bin ich überzeugt. Sie stellen mich in Frage, bringen mich zum Nachdenken, helfen mir, meine eigene Position klarer zu erkennen.

Ich glaube: Ein ganz ähnliches Kriterium gilt für Kunst. Vor vielen Jahren kam ich mit Wanderschuhen und Rucksack zum ersten Mal in die Partnergemeinde meines Heimatortes in Oberösterreich. Am Ortsrand befindet sich ein Bildungshaus der Marianisten, dort hatte ich mich angemeldet. "Magst Du morgen früh die Orgel spielen?", rasch war das Eis gebrochen, einer der Brüder hatte sich wohl über mich erkundigt. "Ja, gern." Am Abend gehe ich in die Kapelle, um das Instrument kennenzulernen.

Ich bin sprachlos: Das von außen unspektakuläre Gotteshaus ist im Inneren ganz anders. Großflächige Malereien füllen die gesamten Wände, eine Mischung aus warmen Farben und einfach gestalteten, stark reduzierten Personen und Szenen, machen den Raum mitsamt Fußboden, Stühlen, Altar und Orgel zu einem Gesamtkunstwerk. Mit den warmen Registern des Pfeifeninstrumentes verschmilzt der Raum wunderbar zu einer Einheit.

Viele Jahre liegt dieser Besuch zurück. Einer meiner ersten Wege, wenn ich heute zum Greisinghof komme, führt mich meist in diese Kapelle. An die Stelle von Verwunderung und Neugierde, sind Faszination und Begeisterung getreten.

Eines ist mir klar geworden: Ein Kunstwerk, das mir auf Anhieb gefällt, bei dem ich das Gefühl habe: Das verstehe ich, ist eher nicht wertvoll. Was für Bücher und Kunst gilt, trifft genauso auf vieles andere zu, auch auf Menschen. Gut, wenn ich nicht alles und jeden auf Anhieb verstehe, sich mir nicht alles erschließt. Dinge und Menschen, die mich in Frage stellen, mich provozieren, sind immer auch Hilfe, mich selbst klarer zu erkennen, Positionen zu bestimmen – auch zu verändern. "Nicht fertig sein", mit einem Buch, einem Kunstwerk, einem Menschen. Gut, wenn ich das an diesem neuen Tag als Chance sehe.

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Paul Lang, geboren 1963, unterrichtet als Lehrer Latein, kath. Religion und Musik. Er lebt und arbeitet in Amöneburg bei Marburg. Der promovierte Musikwissenschaftler wurde 2014 in Fulda zum Diakon geweiht. Neben seiner Tätigkeit in der Schule bedeutet das die Übernahme vielfältiger Aufgaben in der Seelsorge in der Region. In seiner Freizeit wirkt er in der Leitung von zwei Chören mit, spielt Orgel und ist gerne auf Reisen, am liebsten mit dem Rennrad.

Kontakt: paul.lang@bistum-fulda.de