Im Vorgarten blüht ein dicker Lavendelstrauch. Satte lila Striche auf grünem Untergrund. Dahinter blitzen die dunkelroten Blüten einer alten Rose auf. Der Wind streicht hindurch und bringt dieses wunderschöne Ensemble auch noch zum Duften! Ich zücke mein Handy – das muss ich festhalten! Also, zumindest den optischen Eindruck. An den Duft werde ich mich dann erinnern, wenn ich das Bild betrachte.
Als ich Tage später durch meine Fotogalerie scrolle, bin ich schwer enttäuscht: Da parkt ein Auto hinter den Rosen! Und durch die zarten Lavendelblüten scheint grauer Asphalt durch. Dies Foto hilft mir nicht, das schöne Gefühl wieder aufzurufen, dass die erlebte Situation ausgelöst hat.
Ich möchte so gerne gute Eindrücke, wertvolle Erlebnisse konservieren. Möchte all das Gute und Wichtige einwecken, haltbar machen – Begegnungen, Erfahrungen, Stimmungen. Und dann – bildlich gesprochen – in ein Regal stellen, wo ich es wiederfinde, wenn ich Hunger habe oder naschen will. Wenn meine Seele Nahrung braucht oder eine Streicheleinheit.
Wie kann ich das mit dem Bewahren hinbekommen? Fotos reichen nicht. Ich muss irgendwie die Gefühle verankern, in mir festmachen. Ich weiß noch nicht so recht, wie das geht – ich merke nur, dass ich mich danach sehne. Wachrufen können, was mich erfreut, beseelt, beflügelt hat. Das Gefühl von Trost und Zuversicht reaktivieren können – auch das von Trotz, Leidenschaft und Zuversicht.
Ich sehe meinen alten Vater vor mir, dem die Erinnerungen immer mehr entglitten sind. Der irgendwann keine Namen mehr zuordnen, die Zusammenhänge nicht mehr herstellen konnte. Dem die tausendmal rezitierten Gedichte nicht mehr einfielen. Als ich ihm von seinem neuen Urenkel erzählte, sagte er: Ich verstehe nicht, wovon du redest. Ich kapiere nicht, was du da erzählst. Aber deine Stimme klingt glücklich und das tut gut. In der Demenz hat er die Fähigkeit behalten, Gutes wahrzunehmen. Vermutlich reicht das.