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Schweigen, um zu reden

Wort zum Tage, 14.09.2024

Felicitas Richter, Berlin

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Ich gehöre zu den Menschen, die gern und viel reden. Ich rede, um zu hören, was ich denke. Ich rede, weil ich meine Ideen mit anderen teilen möchte. Ich rede aber auch, weil ich gern Geschichten erzähle und andere zum Lachen bringe. Und ich rede, um unangenehme Stille zu vermeiden oder weil ich Angst habe, überhört zu werden.

Ja, ich rede gern und viel. Und das wird manchmal zum Problem. Für mich selbst, aber auch für andere. Wenn ich zum Beispiel nur spreche, um meine eigenen Gedanken und Gefühle zu sortieren. Dann kreise ich im Gespräch um mich selbst und mein Gegenüber weiß dann gar nicht, ob er gemeint ist. Oder wenn ich so darauf fixiert bin, meinen eigenen Standpunkt noch klarer zu machen. Dann höre ich gar nicht mehr zu und überhöre die Meinung meiner Gesprächspartnerin.

Manchmal kann ich auch gar nicht aufhören, etwas zu erzählen und auszuschmücken, was ich erlebt habe, und merke viel zu spät, dass der andere gar nicht zu Wort kommt. Im Urlaub entdeckte ich im Schaukasten einer Klosterkirche einen großen Zettel. Auf dem stand nichts anderes als: "Schweigen vertieft das Reden." Dieser Satz hat mich innehalten lassen. Er erinnert mich an die Kraft des Schweigens, das noch viel mehr ist als Nicht-Reden. Schweigen schenkt innere Ruhe, in der sich die Gedanken klären können. Schweigen schafft Raum für kreative Ideen. Schweigen lädt ein zur Reflexion und ermöglicht es mir, wirklich zuzuhören, statt nur zu antworten.

In manchen Klöstern gehört das Schweigen zum täglichen Leben. Nonnen und Mönche üben es, um eine tiefere Verbindung zu ihrem Glauben, zu Gott zu finden. Wir müssen nicht ins Kloster gehen, um durch Momente des Schweigens das Reden zu vertiefen. Das können wir auch in einem turbulenten und lauten Alltag üben.

Indem wir uns bewusst Zeit nehmen, bevor wir auf eine Frage antworten. Dann werden wir die wirklich bedeutsamen Worte wählen. Oder bevor wir eine wichtige Nachricht abschicken. Lassen wir sie einige Minuten oder Stunden ruhen. Das Schweigen zwischen Schreiben und Senden kann Missverständnisse verhindern. Und gönnen wir uns täglich Momente des Schweigens, ohne uns auf dem Smartphone oder in Gesprächen abzulenken. Dadurch schaffen wir den Raum, uns selbst zu begegnen.

Ich rede gern und viel. Wenn ich jedoch nicht hin und wieder schweige, habe ich nichts zu sagen.

Über die Autorin Felicitas Richter

1970 in der Lausitz geboren, prägte mich meine Kindheit und Jugend in der Katholischen Kirche der DDR. Gemeinde war für mich mitten in der Diaspora ein Ort, an dem ich meine Meinung frei äußern, christliche Werte teilen und den Glauben leben durfte. Dieser war immer geprägt von der Überzeugung, dass Gott in jedem Moment unseres Lebens gegenwärtig ist – eine Botschaft, die ich in jedem meiner Berufsfelder weitergeben konnte. So studierte ich Sozialpädagogik, arbeitete 23 Jahre als Religionslehrerin und Schulseelsorgerin im Erzbistum Berlin und war Therapeutin in einer Mutter-Kind-Klinik. Heute bin ich selbstständig und halte Vorträge und Seminare für Menschen mit familiären Sorgeaufgaben und beruflicher Verantwortung.

Kontakt: www.felicitas-richter.de