Das Klima wird rauer, der Ton schärfer, die Auseinandersetzungen hasserfüllter. Ob gegen Politik, Medien, oder die allgemeinen Zustände – die Gründe werden immer vielfältiger und gegensätzlicher. Ob auf der Straße oder in den Sozialen Medien – ob berechtigt oder nicht, eines wird dabei deutlich spürbar: Ein wachsendes Misstrauen zieht sich durch weite Teile der Bevölkerung in unserem Land. Oder anders ausgedrückt: das Vertrauen in die Annahme: "Es wird schon gut gehen" ist gesunken.
Wer Vertrauen verliert, der zieht sich zurück. Auf wachsende Ungewissheit folgt ein verstärktes Sicherheitsempfinden. Die Folge ist der Rückzug auf sich selbst, man wird vorsichtiger, mutloser, misstrauischer – ein Teufelskreis mit Folgen für die Gesellschaft, die auseinanderdriftet. Es ist eine alte Weisheit, dass Vertrauen der Klebstoff ist, der eine Gesellschaft zusammenhält.
Forscher haben vor einigen Jahren eine faszinierende Entdeckung gemacht: In Situationen, in denen der Mensch besonders vertraut, schüttet er ein bestimmtes Glückshormon aus: Oxytocin. Am stärksten wurde es nachgewiesen im Zusammenhang mit der Geburt. Wenn eine Mutter ihr Kind stillt, produziert ihr Gehirn genauso wie das des Kindes in diesem Moment Oxytocin. Es hat nicht etwa mit der Muttermilch zu tun, denn das gleiche passiert auch dann, wenn der Vater oder eine andere Bezugsperson das Neugeborene liebkost. Es ist die Situation, auf die beide Körper reagieren. Geben und Nehmen und damit verbunden das Gefühl von Sicherheit. Oxytocin ist ein Bindungshormon – der Ursprung des Vertrauens." [1]
Ich finde es faszinierend, dass dies vor allem in den Vorgängen rund um das Wunder der Geburt passiert. Es ist vermutlich das Ereignis, in dem den Eltern und Angehörigen ein Grundvertrauen in das Leben am überzeugendsten erscheint; die Ahnung, dass die Vorzeichen, die vor dem Leben stehen, gut sind.
"Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag."
Das bekannte Gedicht von Dietrich Bonhoeffer mag schon vielen frischgebackenen Eltern über die Lippen
gekommen sein – selbst wenn die Freude über das neue Leben oft mit der Sorge um dieses kleine Wesen gepaart ist.
Vertrauen ist eine uns innewohnende Kraft. Sie hilft uns, mit dem Ungewissen zurecht zu kommen. Und das Leben ist ungewiss. In dem Maß, wie der Mensch sich darauf einlässt, wächst er und erfährt sich selbst – ist erst dann im eigentlichen Sinn lebendig. Es ist darum wichtig, sich ein Grundvertrauen zu bewahren.
Und wie heißt es in Bonhoeffers Gedicht am Schluss:
"Gott ist mit uns am Abend und am Morgen, und ganz gewiss an jedem neuen Tag."
[1] vgl.: DIE ZEIT, Ausgabe 28.5.2020, Artikel: „Wird schon gut gehen, oder?“ von Marcus Jauer.