Ich bin in einer großen Familie aufgewachsen und erinnere mich, dass früher ständig irgendein Treffen in der Familie stattfand. Neben den Geburtstagen waren das die großen Familienfeste wie Taufen und Hochzeiten, aber auch die traurigen Momente, wenn jemand gestorben war. Dazu kamen Weihnachten, Neujahr, Fasching, Ostern usw. Und weil die meisten Feste und Ereignisse jedes Jahr wiederkehrten, konnte man das Gefühl haben, dass alles sich in einem Kreis dreht. Der Vorteil eines solchen Erlebens ist, dass man immer eine gewisse Orientierung hat und nicht lange nachdenken muss, was als Nächstes ansteht.
Diesem Modell eines Jahreskreises steht ein anderes Modell gegenüber, das mehr den einzelnen Menschen im Blick hat: das des Lebensweges. Da sieht man das persönliche Leben als einen Weg, der mit der Geburt beginnt und mit dem Tod endet. Man sieht die Jahrzehnte vor sich und die Lebensabschnitte, die man durchlebt: Von der Kindheit über die Jugendzeit bis zu den verschiedenen Phasen des Erwachsenseins. Man sieht Menschen, die mitgegangen sind auf diesem Weg, und andere, die den gemeinsamen Weg wieder verlassen haben.
Der Vorteil dieser Lebensvorstellung ist, dass ich einen besseren Überblick bekomme: Wieviel ich hinter mir habe und was ich alles geschafft und durchgekämpft habe. Man blickt zurück und darf stolz sein, dass man etwas geschafft hat. Und ein wenig darf man auch dankbar sein für das, was einem das Leben geschenkt hat. Aber man muss sicher auch vieles betrauern, was man nicht so gut hinbekommen hat. Und dann sieht man den Weg vor sich und muss entscheiden, wohin man gehen will.
In der christlichen Kultur sind die beiden Lebensmodelle immer gleichzeitig präsent. Einerseits gibt es den Jahreskreis des Kirchenjahres mit seinen Festen und geprägten Zeiten wie Advent und Fastenzeit. Andererseits sehen Christen sich selbst als Menschen, die mit dem Segen und der Begleitung Gottes auf einem Weg unterwegs sind. Als einzelne und als Gemeinschaft. Schon in den Anfängen des Christentums wurden die ersten Christen als Menschen eines neuen Weges bezeichnet. Christsein heißt also nicht, eine Fülle von Standpunkten zu haben, sondern ein Christ ist immer in Bewegung.
Christen sind Menschen des Neuen Weges. Unser Leben kann ruhig ein Zickzackkurs sein. Aus der Sicht Gottes aber steht jeder Lebensweg unter seinem Segen. Ein Lebensweg ist nicht dann gut, wenn alles problemlos ging, auch wenn man sich das erträumt. Sondern ein Lebensweg ist dann gut, wenn man das Ziel bei Gott nicht aus dem Auge verliert, egal, wie gradlinig oder verworren der Kurs im Alltag ist.