Newsletter

Goldene Narben

Wort zum Tage, 15.02.2023

Pfarrer Markus Bolowich, Nürnberg

Beitrag anhören

Kintsugi. So heißt die japanische Handwerkskunst, in der zerbrochene Keramikstücke zu einem neuen Ganzen zusammengesetzt werden. Weil dabei die Bruchlinien, die Narben, ganz fein mit echtem Gold bedeckt werden, heißt Kintsugi wörtlich "goldenes Zusammensetzen". Hinter Kintsugi steht die Einsicht, dass alle Dinge einzigartig sind und ihr Zerbrechen nicht das Ende bedeutet.

Damit ist dieses Handwerk auch ein Bild für unser Leben, eine Abkehr vom Perfektionismus und eine Ermutigung, sich den Brüchen zu stellen. Unser Leben verläuft nicht linear, und manches dabei bekommt auch Risse, geht in die Brüche, anderes bleibt Fragment. Da sind die Fragmente aus der Vergangenheit unseres Lebens. Es ist eine Reifungsgeschichte, aber auch eine Verlustgeschichte. Eine Geschichte vertaner Chancen oder versäumter Gelegenheiten.

Da sind auch die Fragmente auf Zukunft hin: In diesem Sinne ist das Leben als Fragment nicht ganz, nicht heil, nicht vollständig. Es steht immer etwas aus. Es ist verletzliches Leben und das heißt, ein auf andere angewiesenes. Das christliche Menschenbild weiß, dass nicht alles gelingen kann, aber auch nicht alles gelingen muss. Jeder Mensch ist als Geschöpf endlich und nicht Gott. Eine narbenfreie Existenz gibt es wohl nicht.

Und doch ruht auf jedem menschlichen Leben immer Gottes liebevoller Blick. Es ist ein Blick der Wertschätzung, des Urvertrauens und der Liebe. Dieser Blick Gottes auf jeden Menschen, fügt zusammen und versöhnt auch mit den Narben. Ja, ein gleichsam goldenes Zusammensetzen, damit wir mit den Fragmenten unseres Lebens weiter gehen können, so wie mit Narben aus Gold.  

Ich weiß: Es ist bisweilen eine lange und nicht immer einfache Übung, das eigene Leben mit seinen Fragmenten ansehen und annehmen zu können. Versöhnung zu finden, zu empfangen und zu leben. Und Narben bleiben Narben, auch wenn sie mit Gold überzogen werden.

Wertvoll ist mir seit vielen Jahren dieses Gebet des Theologen und Philosophen Romano Guardini, in dem es heißt:

"Immerfort empfange ich mich aus Deiner Hand. Das ist meine Wahrheit und meine Freude. Immerfort blickt Dein Auge mich an, und ich lebe aus Deinem Blick, Du mein Schöpfer und mein Heil. Lehre mich, in der Stille Deiner Gegenwart das Geheimnis zu verstehen, dass ich bin. Und dass ich bin durch Dich und vor Dir und für Dich."

Über den Autor Markus Bolowich

Markus Bolowich, Jg. 1967, geboren in Frankfurt/Main, in Franken aufgewachsen, Studium der Theologie in Bamberg und Münster, lebt und arbeitet derzeit als Pfarrer in Nürnberg. Er ist Rundfunkbeauftragter des Erzbistums Bamberg. Ausbildung zum Exerzitienleiter (Ruach/DOK). Mitglied in der ökumenischen Arbeitsgemeinschaft für Homiletik e.V. (AGH)

Kontakt: http://www.innenstadtkirche.de