"Sorgt euch nicht um euer Leben, und darum, was ihr essen und trinken sollt. (…) Seht euch die Vögel des Himmels an. Sie säen nicht, sie ernten nicht (…) Macht euch also keine Sorgen."
Worte aus der Bergpredigt Jesu im Matthäus Evangelium – wunderbar und tröstlich. Aber halt – nachgefragt: Ist das nicht eine Provokation, ein Aufruf, die Hände in den Schoß zu legen? "Sorgt euch nicht" gilt das auch angesichts der Erderwärmung, angesichts der Kriege, des weltweiten Hungers… angesichts persönlicher Leiden?
Heinrich Albertz, evangelischer Pastor und ehemals regierender Bürgermeister von Berlin hat diesen Konflikt hautnah erlebt! Er erzählt in seinen Erinnerungen unter dem Titel "Am Ende des Weges", er habe seine erste Predigt 1936 in einer kleinen schlesischen Gemeinde vor Waldarbeitern gehalten. Deren Pastor sei gerade erst von den Nazis verhaftet worden, die weinende Pfarrfrau mit ihren vier Kindern habe vor ihm gesessen, ebenso der verschreckte Gemeindekirchenrat. Er sollte nun als 21jähriger Prediger zu diesem Text sprechen: Sorgt euch nicht um euer Leben.
Albertz hat die Provokation dieses Wortes nicht mehr losgelassen. Seine erste Predigt hat er ein Leben lang fortgeschrieben. In seinen Erinnerungen bekennt er, für ihn bedeute dieses "Sorgt euch nicht" vor allem eine unglaubliche Freiheit von der Lebensangst. Ein Mensch, der in Jesus Gott begegne, könne mit seiner Furcht fertig werden. Das führe ihn aber nicht in Gleichgültigkeit und Teilnahmslosigkeit. Ganz im Gegenteil: Diese Freiheit von der Lebensangst befreie den Menschen zur Empathie, zur Fähigkeit, sich dem Anderen zuzuwenden, sein Leid zu sehen; diese Freiheit befreie den Menschen zu unterscheiden zwischen rechter und falscher Sorge.
Diese Haltung war es wohl auch, die Albertz die Kraft gab, sich in den siebziger Jahren Terroristen als Geisel zur Verfügung zu stellen und mit ihnen von Berlin aus in den Jemen zu fliegen. Dort erhielt er das entscheidende Codewort, um den zuvor entführten CDU-Politiker Peter Lorenz zu retten.
1993, vor dreißig Jahren, ist Heinrich Albertz in einem Altenheim in Bremen gestorben. Am Ende des Weges schreibt er diese Worte, die auch anderen Trost sein können: "Ein Christ weiß sich in einem unvergleichlichen Sinn sicher und gewiss in den Händen des lebendigen Gottes. Du kannst nie tiefer fallen als in sein Herz. Du kannst in der tiefen Verzweiflung und Finsternis deiner eigenen Schuld und Fehler sitzen. Du kannst buchstäblich nicht wissen, wie du morgen weiterleben sollst. Aber das 'Sorgt nicht' gilt für dich gerade dann und dort, wo du dich am ohnmächtigsten fühlst."