Die Menschen der Neuzeit haben einen sehr großen Sprung in der Entwicklung der Menschheit vollzogen durch die vielen Erfindungen und Entdeckungen im technischen und wissenschaftlichen Bereich. Gleichzeitig wurde aber eine Entscheidung getroffen, die in ihrer Bedeutung oft gar nicht gesehen wird: der Entschluss nämlich, Gott für tot zu erklären. Durch die Einblicke in die Tiefenstruktur der Materie und in die Weiten des Universums sind die einfachen Weltbilder überholt.
Gott wohnt nicht hinter den Wolken und die Prozesse des Lebendigen sind sehr komplex. Gott lässt sich weder im Kleinen noch im Großen irgendwo eindeutig verorten. Dadurch entstand ein Lebensgefühl, das im vergangenen Jahrhundert und bis heute immer weitere Kreise unserer westlichen Kultur erfasst hat. Es besagt: Unser eigentliches Schicksal ist der Tod. Gott hat uns vergessen, weil es ihn gar nicht gibt. Daraus entsteht dann der Vorwurf an diejenigen, die noch weiterhin von Gott reden wollen: Die Menschen sind lang genug verführt worden mit Vertröstungen auf ein Jenseits und eine Auferstehung vom Tod. Damit müsse Schluss sein. Es gelte jetzt die Aufforderung: Lass dich nicht verführen! Bleib Realist.
Bert Brecht sagt das in einem Gedicht so:
"Lasst euch nicht betrügen! Das Leben wenig ist. Schlürft es in vollen Zügen! Es wird euch nicht genügen wenn ihr es lassen müsst!" [1]
Brecht spürt es deutlich und er spricht es aus: Dieses Leben hier und jetzt – es genügt nicht. Wir wollen mehr, wir hungern nach mehr, wir dürsten nach mehr. Aber es hilft nichts. "Ihr sterbt mit allen Tieren, und es kommt nichts nachher", so die beiden Schlussverse bei Brecht. Und daher gilt für ihn: "Schlürft (wenigstens dieses Wenige) in vollen Zügen!" Das Leben, das bisschen Leben schlürfen, auf Teufel komm raus auskosten. Wie schnell wird Sehnsucht auf diese Weise zur Sucht.
Wer aber auf Gott vertrauen kann und aus diesem Glauben lebt, der verpasst nicht das Leben; er hat nicht weniger, sondern er hat mehr vom Leben, weil er sich nicht so schnell abhängig von etwas macht, mehr innere Ruhe gewinnt durch das Vertrauen in Gott und in seinen Beziehungen die Anderen als Kinder Gottes sehen kann – was auf jeden Fall das Verständnis und die Bereitschaft zur Versöhnung erleichtert. Wer auf Gott vertraut, hat in Krisenzeiten eine Hilfe, weil Gott als Gesprächspartner im Gebet ein Gegenüber ist, das Menschen davor bewahrt, in seelischen Tiefs zu versinken.
Das ist es, was der Glaube an Gott hier und jetzt und sehr konkret verändert.
[1] aus „Gegen Verführung; GW IV,“ Frankfurt/M., Suhrkamp, 1967.