Franz Kafka – vor hundert Jahren starb mit ihm einer der bedeutendsten deutschsprachigen Autoren. Seine rätselhaften Figuren führen uns in eine geheimnisvolle, unerschöpfliche Welt, und jede Geschichte kann auf unterschiedlichen Ebenen gelesen werden: von religiösen Parabeln über Albträume, Satiren und vergeblichen Sinnsuchen. Sie alle haben bis heute nichts von ihrer Faszination verloren, weil sie den Lesern das Gefühl vermitteln, auch von der Gegenwart zu erzählen.
Kafka schrieb, um zu existieren. Er existierte durch sein Schreiben. Und er existiert noch heute, weil er geschrieben hat.
"Ich habe kein litterarisches Interesse, sondern bestehe aus Litteratur, ich bin nichts anderes und kann nichts anderes sein", so Franz Kafka in einem Brief an seine Verlobte. Ein Leben ohne das Schreiben erscheint ihm vollkommen reizlos. Er zieht seine ganze Lebenskraft aus dieser Tätigkeit und das lässt ihn erst wirklich lebendig werden. Schreiben ist für Kafka intensives Leben an sich und nicht nur Lebens-Betrachtung. Er selbst wird dadurch zu einem Verwandelten … und nur so findet er sein wirkliches Ich.
Mich fasziniert diese völlige Hingabe und ich frage mich: was verwandelt mich, wo und wann komme ich mit meinem wirklichen ICH in Berührung?
Dabei sind Kafkas Werke nicht Ausdruck intensiver Lebensfreude, sondern Zeugnis existenzieller Grenzerfahrungen – gerade dadurch entfalten sie eine ganz unmittelbare Kraft. Und diese Kraft wird zu einem Befreiungsschlag für ihn: die Befreiung aus einer Wirklichkeit, die ihm oft fremd erscheint und Angst macht. Genau das ist es, was Kafka im Schreiben findet: Freiheit.
"Schreiben ist eine Form des Gebets", skizziert er in einer knappen Notiz.
Es bewegt mich, dass schreiben und beten so nah beieinander liegen und in Kafkas Augen vielleicht sogar ein und dasselbe sind. Und mich fasziniert der Gedanke, dass aus beidem: schreiben und beten, Freiheit erwächst. Wenn Kafka seine gesamte Existenz vom Schreiben abhängig machte, und Schreiben als eine Form des Gebets verstand, hat er sein ganzes Leben vielleicht mehr zu Gott hin ausgerichtet, als ihm selbst bewusst war.
Mich macht der Gedanke froh, dass ich womöglich auch dann bete, wenn ich schreibe oder spazieren gehe oder singe, oder immer dann, wenn ich laut und herzlich lache. Vielleicht ist es vor allem die Selbstvergessenheit, die das Beten ausmacht. Und die Tatsache, dass man etwas aus vollem Herzen und mit tiefster Überzeugung tut.