Wer etwas verhüllt, kann etwas sichtbar machen. Das sagt Ibrahim Mahama. Der ghanaische Künstler hat jetzt ein riesiges Gebäude in Osnabrück verhüllt, mit gebrauchten Jutesäcken und Stoffresten traditioneller Gewänder aus seiner Heimat: 4000 Quadratmeter der großen Fassade eines seit Jahren leer stehenden Konsumtempels einer bekannten Kaufhaus-Kette.
Das Kunstprojekt findet sich mitten in der Stadt, an einem Ort, der zwar Neumarkt heißt, aber eher den Niedergang überkommener Lebensart symbolisiert. Inmitten des überbordenden Verkehrs von Bussen, Autos und eiligen Passanten, umgeben von Bankinstituten, Gerichten und Kaufhäusern, die zu Geisterhäusern wurden. Die Reaktionen sind vielfältig: Unter der Oberfläche des Alltags offenbaren sich Ablehnung und Ignoranz. Aber es gibt auch echte Begeisterung, Debatten werden geführt.
Mahama nennt die legendären Verpackungskünstler Christo und Jean Claude zwar Vorbilder; er ist aber kein Nachahmer. Der 36-jährige renommierte Documenta Künstler ist ein politischer Kopf. Er fordert die Menschen heraus. In Osnabrück, der Stadt, die sich "Friedensstadt" nennt, sollen die Jutesäcke Konsumgewohnheiten hinterfragen und Machtverhältnisse in Geschichte und Gegenwart sichtbar machen. Denn in diesen Säcken wurden Kaffee, Kakao und Holzkohle aus seiner Heimat in die Welt transportiert.
Anlass für den Auftrag an den Mann aus Ghana war das Jubiläum des Westfälischen Friedens. Vor 375 Jahren wurde in Münster und Osnabrück ein Vertrag geschlossen, der Europa nach 30 Jahren Krieg eine neue Friedensordnung schenkte.
Aus Anlass eines weiteren bedeutenden Datums – dem Milleniumsjahr 2000 – enthüllte Papst Johannes Paul II. in einem Schuldbekenntnis das Versagen der Christen in der Zeit des Kolonialismus, ihre Verwobenheit in ein System brutaler Unterdrückung, gegründet auf Habsucht, Rassismus und missionarischem Eifer. Christen, so bekannte der Papst, haben die Rechte von Völkern und Stämmen verletzt, ihre Kulturen und religiöse Traditionen verachtet. Sie haben Diskriminierungen zugelassen aufgrund von unterschiedlicher Rasse und Hautfarbe.
Der katholische Theologe Jörg Lüer spricht heute von einem "toxischen Erbe" und meint: "Als Weltkirche haben wir die aus dem Kolonialismus resultierenden Spannungen sozusagen in der Familie." Das könne zugleich Raum bieten, um versöhnte Beziehungen zu stiften. Einen Versuch wäre es jedenfalls wert – als Gegengift gegen europäischen Chauvinismus und Rassismus. Vielleicht sollte Ibrahim Mahama eingeladen werden, eine römische Kathedrale zu verhüllen.