Viele Menschen können mit dem traditionellen Glauben nichts mehr anfangen. Die alten religiösen Bilder und Symbole scheinen nicht mehr in die moderne Welt zu passen. Dabei sind viele damit verbundenen Erzählungen für mich mindestens so wirksam wie moderne Heldengeschichten.
Zum Beispiel die berühmte Szene vom Jakobskampf aus dem biblischen Buch Genesis: Hier wird erzählt, dass ein gewisser Jakob auf einer langen Reise ist. Am Abend kommt er an einen Fluss und da taucht eine dunkle Gestalt auf, die mit ihm kämpft. Die ganze Nacht. Die fremde Gestalt fordert den Jakob auf loszulassen. Aber der kämpft weiter, er kann erst aufhören, wenn er merkt, dass sein Ringen ihn weiterbringt. Das kann ich gut verstehen: Ich kann meine Gedanken und Sorgen auch erst dann loslassen, wenn ich das Gefühl habe, dass es gut weiter geht.
Der Maler Rembrandt hat die biblische Szene so gemalt, dass der Fremde ein Engel ist, und der legt dem Jakob die Hand genau zwischen die Schulterblätter. Da ist so eine Stelle, da bekommt man eine Gänsehaut, weil es sich so gut anfühlt. Man kann das so interpretieren: Jakob sucht eine Bestätigung, die wir als Segen bezeichnen. Das bedeutet: Es legt dir einer die Hand auf den Rücken und sagt: "Ich bin da, du schaffst das!"
Der Mensch, so kann man die biblische Geschichte deuten, bekommt in seinem Ringen eine Rückenstärkung, wenn er nicht davonläuft, sondern sich dem Schweren stellt. Das ist zwar anstrengend, ändert aber das Bild, das Menschen von sich selbst haben. Sie entdecken ihre eigenen Kräfte und werden wie Jakob fähig, sich ihren Problemen zu stellen. Jakob hat einen großen Konflikt mit seinem Bruder. Wenn man die religiösen Geschichten und Bilder also auf sich wirken lässt, kann man sich davon ermutigen lassen.
Die Erzählung des Jakob ist für mich eng verwoben mit Aspekten meiner Lebensgeschichte und meinen Lebenserfahrungen. Und sie steht sicher auch für Viele, die schmerzliche, dunkle und bedrohliche Lebenserfahrenen und Begegnungen durchleiden oder durchlitten haben. Und es klingt in der Erzählung aus dem Buch Genesis auch eine wichtige Erfahrung an, wenn nach dem Kampf die Morgenröte aufsteigt und damit gesagt wird, dass in jedem inneren Ringen die Sonne wieder aufgeht, neues Licht in mein Herz und meine Gedanken kommt. Dann bin ich mir sicher, dass ich nicht allein bin in meinem Ringen. Gott ist mir nahe, er begleitet mich. Egal, in welchen Dunkelheiten und Tälern des Lebens und meiner Lebensgeschichte ich umherirre.