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Trost-Los

Wort zum Tage, 17.01.2025

Michael Kinnen, Berlin

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Trostlos. So fühle ich mich manchmal, weil Vieles nicht so läuft, wie ich mir das wünsche. Wenn ich in das große Weltgeschehen blicke: die Kriege, die Krisen, die Katastrophen. Von den persönlichen Krisen, kleinen und großen Katastrophen ganz zu schweigen. Die sind mir ja noch näher. Und da scheint mir auch manches trostlos.

In dieser Stimmung bin ich vor einiger Zeit in Berlin in eine Kirche gegangen. Dort lag auf einem Stapel am Eingang ein Zettel. "Trostlos" stand darauf. Und: "Bedienen Sie sich." Ich hab also einen Zettel vom Stapel mitgenommen und wollte wissen, was das "Trostlos" soll. Auf der Rückseite des Zettels stand eine Buchstaben-Zahlen-Kombi: "PS – 62 – 2". Das ist kein Geheimcode, das steht für Psalm 62, Vers 2 aus der Bibel. Ein Blick in die Bibel hat mir dann verraten: Psalm 62, Vers 2 lautet: "Bei Gott allein wird ruhig meine Seele, von ihm kommt mir Rettung." Und ein Stück weiter geht er dann so: "Bei Gott allein werde ruhig meine Seele, denn von ihm kommt meine Hoffnung. Er allein ist mein Fels und meine Rettung, meine Burg, ich werde nicht wanken. (...) Schüttet euer Herz vor ihm aus! Denn Gott ist unsere Zuflucht."

Da bekam das Wort "Trostlos" schlagartig eine andere Bedeutung: Es wurde zum "Trost-Los", mit Bindestrich. Da ist einer, der dich nicht allein lässt, wie trostlos dein Leben auch gerade scheint. So sind die Psalmen – Jahrhunderte vor Christi Geburt entstanden: Ein Trost. Kein Trostpreis – und auch kein Vertrösten. Und schon damals haben die Psalmen das versammelt, was Menschen in ihrem scheinbar trostlosen Alltag beschäftigt hat: Ihren Ärger und Frust, ihr Unverständnis und auch Wut, warum Gott Leid zulassen kann; eine Klage, ins Wort gebrachte Sorgen und Ängste, aber auch Worte der Lebensfreude und Hoffnung – gerichtet an Gott: "Mensch, Gott, jetzt sieh dir das mal an, wie's mir geht. Jetzt mach mal was, ich weiß nicht weiter! Hilf mir! Bitte!"

Die Psalmen faszinieren und trösten Menschen bis heute, weil in ihnen viel Lebensweisheit steckt. Wenn ich keine Worte finde in den Trostlosigkeiten meines Alltags, dann können mir Psalmen helfen, mir ein "Trost-Los" zu ziehen: einen Hoffnungs-Satz, der mir über die Runden hilft. "Schüttet euer Herz vor ihm aus! Denn Gott ist unsere Zuflucht."

Mit diesem Gottvertrauen gibt es viele "Trost-Lose" für mein Lebensschicksal, in der Lebens-Tombola, die keine Nieten kennt.

Über den Autor Michael Kinnen

Michael Kinnen, Jahrgang 1977, studierte Theologie in Trier, Frankfurt und Mainz. Er absolvierte die studienbegleitende Journalistenausbildung an der katholischen Journalistenschule in München und ist seit 1998 für verschiedene Programme der Kirche im Radio "auf Sendung". Zum Thema "Gott in Einsdreißig - Fides et 'Radio'" promovierte er an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt zum Verkündigungsauftrag der Katholischen Kirche im Privatfunk. Berufliche Stationen führten ihn von Mainz über Berlin nach Trier. Michael Kinnen ist verheiratet und Vater einer Tochter.

Kontakt: info@radiopredigt.de