Ben ist angekommen! So steht es in einer Geburtsanzeige. Und am Spielplatz höre ich: Lea, komm! Oder: Warte, Jo! Sie sind voll im Trend: Vornamen mit nur einer Silbe, mit drei oder gar nur zwei Buchstaben. Auch früher gab es schon Rufnamen, die einen klangvoll langen Namen verkürzten – aus Johannes wurde dann Hans. Der Trend heute ist umfassender. Im digitalen Zeitalter nutzen wir Abkürzungen fast wie eine allgemein verständliche Zweitsprache. Also auch kurze Namen für Menschen.
Bei sowas sind auch Glaubensmenschen voll dabei. Nicht nur, dass wir in der westlichen Welt ein ganz kurzes Wort "Gott" haben – während Christen im südlichen Afrika für Gott zum Beispiel Nkulunkulu sagen. Christen kennen seit Jahrhunderten in Kunstwerken ein M, verschlungen mit einem A für Maria oder IHS als Kürzel für Jesus.
Im Advent kommt diese Verknappung zum Höhepunkt. Heute geht es los und reicht bis Heilig Abend. In der täglichen Gebetszeit der Kirche am Abend beginnt der Liedruf immer mit nur einem Buchstaben: O. Letzte Woche vor Weihnachten – Zeit der O-Rufe. Dieses O verbindet sich an jedem Tag mit einem Wort des Alten Testaments, in dem die Gläubigen des Gottesvolks ihre Sehnsucht nach einem Messias, einem Erlöser, ausdrückten: O Weisheit, o Schlüssel, o Gott-mit-uns! O komm doch endlich, wir brauchen Dich, Gott, hier bei uns. Das ist der Sinn dieser Verse auf Weihnachten zu.
Auch im Alltag rufen wir manchmal "O!" Und wissen: In dem einen Buchstaben kann eine Fülle von Bedeutungen liegen: "O" rutscht uns raus, wenn wir erschrocken oder überrumpelt sind. „O“ kann ein tiefer Seufzer sein, voller Schmerz oder Enttäuschung. Und im "O" kann gespannte Vorfreude auf prickelnd Schönes anklingen.
In den Gebetbüchern der Kirche sind zwar Noten notiert, wie man die O-Verse vor Weihnachten singt. Aber was jede und jeder dabei von sich und seinem Leben da reinlegt, kann so verschieden sein wie wir Menschen und unsere Lebenslagen. Was es ganz genau ist, weiß man selbst nicht immer. Und es darf Geheimnis bleiben – zwischen mir und Gott. Wenn ich an das göttliche Kind in der Krippe denke, das wir an Weihnachten feiern, versichert mich das O: Bei Gott darf alles sein. Vor einem Kind muss sich niemand verstellen, schon gar nicht erklären. Das Kind nimmt auf, was bei mir ist. Und wenn es weit geöffnete Arme hat, sagt das Gotteskind: "O, ich mag dich, Mensch!"