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Es wird regiert

Wort zum Tage, 18.01.2023

Pfarrer Detlef Ziegler, Münster

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Kurz vor seinem Tod 1968 schrieb der berühmte Theologe Karl Barth:

„Ja, die Welt ist dunkel…Nur ja die Ohren nicht hängen lassen. Nie! Denn es wird regiert, nicht nur in Moskau oder in Washington oder in Peking, sondern es wird regiert, und zwar hier auf Erden, aber ganz von oben, vom Himmel her. Gott sitzt im Regimente! Darum fürchte ich mich nicht…Gott lässt uns nicht fallen, keinen einzigen von uns. Es wird regiert!“

Barth formuliert hier in der unpersönlichen Form des Verbs – es wird regiert – und dazu im Passiv. In der Bibelwissenschaft spricht man vom „passivum divinum“, vom „göttlichen Passiv“. Gemeint ist, dass entscheidende, ja überraschende Ereignisse in der Bibel auf Gott zurückgehen. Man könnte auch sagen: Er steckt dahinter, er hat hier die Finger im Spiel, auch wenn es auf den ersten Blick nicht sofort ersichtlich ist.

Es wird regiert! In der Ablehnung so mancher Regierung sagen Menschen immer wieder: „Ach, die da oben!“ Man fühlt sich nicht genügend beachtet; manchmal zu Recht, nicht selten steckt dahinter aber auch ein grundsätzliches Misstrauen gegenüber demokratischen Institutionen. Letzteres ist schädlich und gefährlich. Verständlich und schwer zu ertragen aber ist die Ohnmacht, wenn Despoten einfach machen, was sie wollen, ohne Rücksicht auf Verluste, wie wir es zurzeit etwa beim Krieg in der Ukraine, im Iran und an anderen Orten der Welt erleben müssen. Wer hält „die da oben“ endlich mal auf?

Es wird regiert, sagt Karl Barth. Man spürt sein Misstrauen gegenüber menschlicher Machtausübung, vor allem, wenn sie anonym und nicht zu greifen ist. Man spürt seinen Wunsch, dagegen eine andere Macht aufzubieten, die zunächst ebenfalls versteckt daherkommt und sich dann doch als größere Macht erweist. Aus dem unpersönlichen ES wird ein Gott, der im Regimente sitzt, von oben her die Fäden in der Hand hat, stärker ist als die in Moskau, Peking, Washington, stärker als die, die Menschen knechten und niederknüppeln.

In der Grundschule habe ich noch das Passiv als Leideform des Verbs kennengelernt. Ich finde, das passt. Es passt zu einer Form der Macht, die Menschen ins Leid stürzt: Es wird regiert! Es passt aber auch zu einem Gott, der selber an dieser Welt leidet, der Unrecht und Gewalt nicht erträgt, der selber das Regiment übernimmt.

„Er stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen“, singt Maria in der Bibel. Ein starker Gott, der regiert, indem er rettet, der mir aufhilft in meiner Angst und keinen zurücklässt.

Über den Autor Pfarrer Detlef Ziegler

Pfarrer Dr. Detlef Ziegler, geboren und aufgewachsen im Ruhgebiet, studierte Theologie, Philosophie, klassische Philologie und Pädagogik in Münster und München. 1985 wurde er in Münster zum Priester geweiht. Von 1990 bis 2001 war er Studienrat am Gymnasium Paulinum in Münster und danach in der Aus- und Fortbildung im Bistum Münster tätig. Zudem hatte er Lehraufträge für philosophische und theologische Anthropologie, Neues Testament und Homiletik in Münster und Paderborn.

Kontakt: ziegler@bistum-muenster.de