Zum zehnten Mal gibt es ihn heute in Deutschland. Den "Europäischen Tag zum Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung und sexuellem Missbrauch". Initiiert hat ihn einst der Europarat. Der hat nämlich alle Mitgliedsstaaten dazu verpflichtet, dem Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexuellen Übergriffen besondere Priorität einzuräumen. Dieser Tag erinnert sie gewissermaßen jedes Jahr aufs Neue daran.
Als Mitarbeiter der Kirche schmerzt mich dieser Tag besonders. Zwar zieht sich die Spur sexuellen Missbrauchs durch die gesamte Gesellschaft und nicht nur durch die Kirchen. Bei denen allerdings ist sie besonders verheerend. Weil moralischer Anspruch und tatsächliches Tun so offenkundig auseinanderfallen.
Und deshalb bleibt für mich auch ein schaler Beigeschmack, wenn meine Kirche rund um diesen europäischen Tag nun einen Gebetstag für die Betroffenen von sexuellem Missbrauch hält. Papst Franziskus hat das vor einigen Jahren angeregt. Ganz klar ist, dass es mit Beten für die Betroffenen nicht getan sein kann – und ja auch nicht ist. Die katholischen Bistümer jedenfalls, für die ich arbeite, mühen sich inzwischen ernsthaft, das, was geschehen ist, aufzuklären. Auch wird präventiv alles Mögliche getan, damit es sich nicht wiederholt. Und wenn doch Fälle bekannt werden, wird – anders als früher – nun konsequent durchgegriffen, zusammen mit der staatlichen Justiz.
Ein aufrichtiges Gebet ist auch keine fromme Soße. Kein Sermon, den ich gnädig über Leid und Versagen gießen kann und alles ist gut. Beten kann ganz schön weh tun, wenn ich mich selbst ehrlich mache und mich öffne gegenüber Gott. Es ist wie beim biblischen Gleichnis, in dem zwei Menschen in eine Synagoge kommen um zu beten. Der eine rühmt sich vor Gott, wie fromm er doch sei und wie dankbar, nicht so zu sein wie all die Anderen. Doch was er sagt bleibt nur arrogantes Geplapper. Der Andere aber, ein verachteter Zolleintreiber der Römer, wagt sich kaum hinein. Er bleibt hinten am Eingang stehen und sagt nur: Gott, sei mir Sünder gnädig! Er, so das Gleichnis, hat zwar nicht viel gesagt, dafür aber wirklich gebetet.
So ein regelmäßiger Gebetstag für die Opfer sexuellen Missbrauchs kann also Sinn machen, wenn er beide Seiten ehrlich und offen in den Blick nimmt: Das anhaltende Leid der Betroffenen und das Eingeständnis, versagt und den eigenen Anspruch mit Füßen getreten zu haben. Durch kriminelles Tun und jahrzehntelanges Wegschauen und Totschweigen. Beides aufrichtig und ehrlich vor Gott zu bringen macht noch nichts wieder gut. Es kann aber ein Anfang sein zur Buße und zur Wiedergutmachung.