Erinnern Sie sich noch an Ihre erste Liebeserklärung? Wie das Herz klopfte, wie man sich tagelang vorher die Worte zurechtgelegt hat; viel Aufregung, um diesen wunderbaren Satz aus dem eigenen Herzen zu entlassen und dem oder der Anderen ins Herz zu geben, das Herzwort nämlich: „Ich liebe dich!“
Unzählige Filme, Gedichte, Bilder kreisen um die Liebe zwischen Menschen, um ihre Größe, ihre Schönheit, aber auch um ihre Tragik und ihr Scheitern. Das Band der Liebe ist stark.
„Stark wie der Tod ist die Liebe…ihre Gluten sind Feuersgluten, gewaltige Flammen“, so lese ich im Alten Testament der Bibel, im sogenannten „Hohenlied“, einer Sammlung betörender Liebeslieder. Doch jedes Band kann reißen. Auch das Band der Liebe, in einer letzten Trennung, in einem letzten Abschied.
Eine der schönsten Liebeserklärungen, die ich in den letzten Jahren gelesen habe, stammt von dem Dichter Reiner Kunze. Sein Gedicht trägt den Titel: „Bittgedanke; Dir zu Füßen.“ Das Gedicht ist kurz, ganze fünf Zeilen. Hier werden nicht viele Worte gemacht. Wer liebt, kommt auf den Punkt.
„Stirb früher als ich,
um ein weniges früher
Damit nicht du
den weg zum haus
allein zurückgehn mußt.“
Der erste Vers klingt verstörend: Stirb früher als ich! Doch schnell wird klar: Der Dichter feilscht nicht darum, noch lange weiterleben zu können, auch ohne die Geliebte. Es geht nur um eine kurze Frist des „Überlebens“, um Tage, Wochen, allenfalls Monate. Warum? Damit der geliebte Mensch den schweren Weg vom Grab zum einst gemeinsamen Haus nicht allein zurückgehen muss.
Ich kenne diese Einsamkeit, die mich anspringt, wenn ich vom Grab eines geliebten Menschen zurückgehe, nach Hause. Ich habe diese Einsamkeit gesehen in den Augen von Zurückgelassenen, Hinterbliebenen. Und weil ich das kenne und sehe, verstehe ich den Wunsch des Dichters zutiefst: „Bitte, stirb ein wenig früher als ich, damit dir diese letzte Einsamkeit erspart bleibt. Ich trage und ertrage sie für dich!“
Was für eine Liebeserklärung! Sie lässt mich melancholisch zurück. Und sie lässt einen weiteren, ja noch tieferen Wunsch in mir wach werden. Es ist der Wunsch an Gott, dass er über den Tod hinaus die zusammenhält, die ein Leben lang zusammengehörten. Es ist meine Bitte an IHN, ihm zu Füßen: „Bitte, Gott, lass deine Liebe stärker sein als unseren Tod!“
Nur so bleiben wir beieinander, auch über die letzte Trennung hinaus.