Mara ist die Freundin meines Neffen und wenn sie backt, dann ist das ein Wunderwerk. Ehrlich, denn Mara kann in der Küche oder am Backofen einfach alles. Super gesunde Brote, Kekse oder goldige Mini-Torten. Aber das Beste ist ihr Baguette.
Wenn wir in der Familie Geburtstag feiern, dann bettle ich immer bei ihr und frage: "Mara, machst du mir wieder dein gutes Baguette?" Sie lächelt dann und macht´s.
Mittlerweile kenne ich auch ihr Geheimnis, und das ist viel mehr als nur das schlichte Rezept. Mara nimmt sich am Abend vorher schon Zeit. Und zwar genügend! Sie holt ihre riesigen Teigschüsseln aus dem Regal, damit der Teig genügend Luft bekommt und viel, viel Platz hat. Und dann nimmt sie gutes Mehl, Wasser und nur ganz, ganz wenig Hefe. Genau genommen sind es nur zwei Gramm. Das ist wirklich wenig, wenn man überlegt wie viel Baguette das ergibt! Ich ahne, was eigentlich hinter Mara´s Backkunst steckt. Es ist eine besondere Einstellung. So etwas wie "weniger ist mehr" oder "viel Zeit haben, das ist das wichtigste".
Mara hat so Recht. Denn es stimmt, ich brauche auch generell betrachtet von der "Hefe im Leben" gar nicht so viel. Ich meine damit alles, was in mir drin Wirkung entfaltet, was manchmal lange gärt, verarbeitet werden muss und sich dann den Platz verschafft, den es nötig hat. All die vielen Erfahrungen, die ich mache oder die Eindrücke, die ich sammle. Mir fällt da der eine treue Freund ein statt den hundert Bekannten. Oder das eine Lieblingslied, das ich schon seit zwanzig Jahren so gerne höre. Und bei dem einen guten Buch statt zwanzig angefangenen Podcasts, ist es genauso: es wirkt, auch wenn es eigentlich gar nicht viel ist.
Mara und ihre zwei Gramm Hefe im Baguette erinnern mich daran: alles, was auf mich einwirkt, braucht Platz und Zeit, damit es sich erst so richtig entfalten kann. Erst dann kann es auch wirklich gut schmecken. Wenn ich über lange Zeit Vertrauen zu einem Menschen aufgebaut habe, eine gute Freundin gefunden habe, gibt mir das so viel. Oder wenn ich eine neue Einsicht gewonnen habe, die mir wirklich weitergeholfen hat, so etwas dauert manchmal Jahre.
Es gibt immer wieder mal die richtigen Momente dafür, dass ich für so etwas Platz schaffe und mir Zeit nehme. Es macht nach außen vielleicht gar nicht viel her, aber es wirkt. So wie die Hefe in Maras gutem Baguette.