Als Jura-Student ist er der Schrecken seiner Professoren, jähzornig und aufbrausend. Bei einem Fechtduell verliert er seine Nasenspitze. Sein Name: Wilhelm Immanuel von Ketteler, Westfale und Katholik. Er ist ein Jahr Unteroffizier, dann wird er preußischer Beamter. Als es in Preußen zu einem Kirchenstreit kommt, bei dem der Kölner Erzbischof verhaftet wird, quittiert er kurzerhand seinen Dienst, zieht nach München und studiert katholische Theologie.
Er wird ein einfacher "Bauernpastor" und bemerkt, wie schlecht es den Leuten auf dem Land geht, finanziell, gesundheitlich, arbeitsmäßig. Die "soziale Frage" bestimmt ab diesem Moment sein Leben. Als Prediger ist er so begabt, dass er bald unter freiem Himmel predigen muss, weil der Platz in der Kirche nicht reicht. Er nimmt kein Blatt vor den Mund und wird zum Fürsprecher der Unterdrückten. Er packt an. Auf seine Anregung hin wird ein Krankenhaus gebaut, das bis heute besteht.
Der Mann beeindruckt. 1848 wird er als Kandidat in die Frankfurter Nationalversammlung gewählt. Dort setzt er sich für Gewissens- und Glaubensfreiheit ein. Ein Jahr darauf wird er Propst in Berlin. Aber – er hat den Koffer kaum ausgepackt – wird er schon als Bischof nach Mainz berufen. Als erster Bischof des 19. Jahrhunderts beschäftigt er sich immer mehr mit der sozialen Frage, liest aufmerksam die Schriften der Sozialdemokraten und schafft selbst Hilfsvereine.
Als 1873 während des Kulturkampfes Gesetze beschlossen werden, die in die Autonomie der Kirche eingreifen, hält er vor 25.000 Menschen eine scharfe Predigt dagegen. Doch damit verstößt er gegen den Kanzelparagraphen. Nach diesem ist es nämlich verboten, von der Kanzel aus staatliche Angelegenheiten zu erörtern. Ketteler wird festgenommen und zu zwei Jahren Haft verurteilt.
Wieder frei, klagt er unhaltbare hygienische und soziale Zustände an, fordert die Einschränkung der Kinderarbeit, die Sicherung der Sonntagsruhe, faire Löhne. Kurz: Er entwickelt ein umfassendes sozialpolitisches Programm, dass 1877 von der Zentrumspartei in den Reichstag eingebracht wird.
Leider erlebt Bischof Ketteler die Erfolge seines Kampfes um soziale Gerechtigkeit nicht mehr. Auf den ersten Blick scheinen seine Ideen gescheitert. Er stirbt müde und gebrochen. Aber das wissen wir heute besser: Er war es, der den Politikern seiner Zeit die soziale Frage mit Nachdruck auf den Tisch gelegt hat.
Unsere Kirche braucht auch weiterhin Männer und Frauen, die so überzeugt und entschlossen für soziale Gerechtigkeit kämpfen.