In unserer Kirche in der Münsteraner Innenstadt liegt aufgeschlagen ein Buch mit leeren Seiten. Viele Menschen nutzen es, um eine Bitte, eine Klage oder auch einen Dank darin zu hinterlassen. Was ich dort lese, berührt mich manchmal zutiefst. Und ich frage mich, ob die hinterlassene Nachricht wohl an die richtige Adresse kommt.
Manchmal schreiben andere Menschen zu einem Eintrag einen Kommentar, ein tröstendes Wort, eine ähnliche Erfahrung. Solche Gesten der Einfühlung tun gut und können trösten. Aber eine ganz naive Frage sei auch erlaubt: Liest Gott das auch? Bin ich bei ihm an der richtigen Adresse?
In der Bergpredigt sagt Jesus: „Bittet, dann wird euch gegeben; sucht, dann werdet ihr finden; klopft an, dann wird euch geöffnet.“ (Mt 7,7)
Ich halte mich gern an diesem Wort fest; oft ist es wie ein letzter Strohhalm. Gott soll wissen, hören, was Menschen bewegt und manchmal auch richtig kaputt macht. Aber was ist, wenn ich das Gefühl habe: Er schweigt? Was ist, wenn scheinbar oder ganz offensichtlich eine Bitte sang- und klanglos verhallt? Das Schweigen, die Abwesenheit Gottes: Wie soll man das aushalten? Und Gott bewahre uns vor falschem Trost und frommen Sprücheklopfern mit ihrem Trost aus der Konserve. Dafür kenne ich zu viele Menschen, die untröstlich sind. Und manchmal ergeht es mir nicht anders.
Die Dichterin Nora Gomringer kommt in ihrem Gedicht mit dem Titel „Man siehts“ auf einen kühnen Gedanken. Sie sieht, während sie einen Gottesdienst besucht, auf das Kreuz in der Kirche. Und sie schreibt:
„Jesus, ein Fremder an einem Holzkreuz,
hat einen schlimmen Schnitt in der Seite.
Seit tausenden Jahren verbindet den keiner.
Das ist schon fahrlässig.
Ein Mann wie ein Briefkasten dadurch.
Kummerkasten aus Holz mit Schlitz.
Gut, dass hier alles gewandelt wird.
Werden Sorgen Gesänge.“
Ein Kummerkasten aus Holz mit Schlitz; eine geöffnete Seitenwunde in der Brust des Gekreuzigten: sieht aus wie ein Briefkasten. Man könnte sagen: Die geöffnete Wunde gibt den Weg frei zum Herzen Jesu. Was ich diesem Herzen anvertraue, was ich diesem Herzen an Not und manchmal schierer Verzweiflung entgegenschreie, ist nicht in den Wind gesprochen. Es geht diesem Jesus zu Herzen.
Es geht Gott zu Herzen, der sich geöffnet hat für uns in einem verwundeten Herzen. Hier bin ich an der richtigen Adresse. Jesus, ein Kummerkasten Gottes. Auch wenn ich nicht weiß, wann und wie eine Antwort kommt. Aber sie kommt…denn der Empfänger ist nicht unbekannt verzogen. Ich warte auf Antwort und hoffe, dass der Kummer gewandelt wird in SEINEM Herzen.