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Innehalten

Wort zum Tage, 20.11.2024

Martin Wolf, Mainz

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Ein Tag der "Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung". So definiert unser Grundgesetz einen Feiertag (GG Art. 140). Der Buß- und Bettag, den die evangelischen Kirchen heute begehen, war mal so ein Feiertag im Sinn des Grundgesetzes. Schon lange gibt es ihn – außer in Sachsen – aber nur noch als evangelischen kirchlichen Feiertag. An das politische Gezerre um seine Abschaffung als gesetzlicher Feiertag vor 30 Jahren kann ich mich noch heute erinnern. Feiertag oder Pflegeversicherung, so hieß damals die seltsame Alternative.

Dabei haben Bußtage eine uralte Tradition. In längst vergangenen Zeiten wurden sie auch schon mal von den Machthabern angeordnet, um Unheil abzuwenden. Die vielleicht eindrücklichste Geschichte dazu findet sich in der Bibel. Als der Prophet Jona der Stadt Ninive den Untergang androht, verfügt der Herrscher einen Bußtag für alle Bewohner. In Sack und Asche sollen sie gehen, ihr Verhalten überdenken und umkehren. Sofort. Vielleicht, so die Begründung, lässt sich die prophezeite Zerstörung ja doch noch abwenden. Für die Autoren der Bibel hängen Glück und Unglück also direkt mit Gottes Wirken zusammen. Und eine Katastrophe, die Stadt oder Land heimsucht, kann in dieser Sicht nur von Gott kommen. Als Konsequenz für das unmoralische Verhalten der Leute.

So ein Denken passt schon lange nicht mehr in unsere aufgeklärte Welt. Die immer häufigeren und schlimmeren Wirbelstürme und Überschwemmungen der letzten Monate hat deshalb keiner ernsthaft mit einer Strafaktion Gottes erklärt, für was auch immer. Sehr wohl aber mit einer Folge des Klimawandels, den wir selbst verursacht haben. Als Menschheit tragen wir deshalb indirekt eine Mitschuld an den Katastrophen. Ja, im weitesten Sinne könnte man sie vielleicht sogar als späte Konsequenz dafür sehen, dass wir Menschen die Erde so verhunzt und ruiniert haben. Oder biblisch gesprochen: Dass wir die gute Schöpfung, die uns nach der Schöpfungsgeschichte anvertraut worden ist, so mies behandeln.

Die Vorstellung aber, dass da ein Gott ist, der Katastrophen schickt, um Menschen zu maßregeln, die ist tot. Letztlich würde er auch vor allem die Falschen bestrafen. Diejenigen nämlich, die am wenigsten zum Klimawandel beigetragen haben.

Der immer noch gedankenlose Umgang mit der Schöpfung könnte aber auch ein Beispiel sein, warum Bußtage nicht aus der Zeit gefallen sein müssen. Denn nicht um Sack und Asche geht es ja. Das wären äußerliche Zeichen. Vielmehr ums Innehalten. Um eine Besinnung auf das, was Not tut und dringend zu ändern wäre. Und um Umkehr, um echte Veränderung im Denken und im Tun. Und das ist vielleicht das Allerschwierigste.

Über den Autor Martin Wolf

Martin Wolf wurde 1962 in Schwerte geboren. Er studierte Katholische Theologie an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster. Seit 1990 ist er beim Bistum Speyer beschäftigt. Von 1993 bis 2004 war er als Pastoralreferent in verschiedenen Pfarreien des Bistums Speyer tätig. 2004 wurde er Leiter der Katholischen Hochschulgemeinde in Kaiserslautern. Als Autor ist er in der Katholischen Rundfunkarbeit bereits seit 2002 engagiert. Von 2010 bis 2017 war er auch Beauftragter des Bistums Speyer beim Südwestrundfunk (SWR) und Saarländischen Rundfunk (SR). Seit Juni 2017 ist Martin Wolf Landessenderbeauftragter der Katholischen Kirche beim SWR in Mainz. Wolf ist verheiratet und hat gemeinsam mit seiner Frau zwei Töchter.