Jedes Jahr zu Weihnachten gibt es Umfragen, die uns Aufschluss geben über die religiöse Stimmung im Land. Wie hoch die Zahl der sogenannten U-Boot-Christen ist, wird da gefragt; also solchen, die nur einmal im Jahr in der Kirche bei Gottesdiensten auftauchen. Oder wie viel Prozent sich zu den sogenannten Weihnachtsflüchtlingen zählen, denen die ganze Gefühlsduselei gegen den Strich geht, und die die Festtage lieber fernab von Krippe und Christbaum verbringen.
Solche Umfragen können Trends bestätigen, können Einblicke in den religiösen Grundwasserstand geben und den seelischen Haushalt des Durchschnittsdeutschen beleuchten. Aber wir sollten sie dennoch mit Vorsicht zur Kenntnis nehmen. Denn nicht nur Weihnachtsbrauchtum, auch die Weihnachtsstimmung unterliegt Moden. In diesem Jahr gibt es wohl einen besonderen Bedarf an Ruhe und Erholung in den aufreibenden Krisen unserer Tage. Er zeigt sich nach Ansicht von Brauchtumsexperten in einem Trend zu "biedermeierlicher Heimeligkeit". Auch Trostbotschaften und Sinnzusagen sind wieder mehr gefragt. Für Psychologen ein Hinweis darauf, dass der Alltag als unübersichtlich und bedrohlich empfunden wird.
Je globaler wir unterwegs sind, desto mehr suchen wir das Echte im Regionalen. Je temporeicher und fortschrittlicher die digitale Welt erscheint, desto größer wird die Sehnsucht nach Langsamkeit, ein Ruf nach der Guten Alten Zeit.
Weihnachten erweist sich in all diesen Moden als erstaunlich stabil. Der Zauber dieses Winter-Festes lässt sich nicht ohne weiteres vertreiben. Trotz der vielen Versuche, Weihnachten kommerziell zu vereinnahmen. Ich glaube, das liegt daran, dass hinter Weihnachten eine starke Idee steckt. Eine Idee von der Würde des Menschen, jedes Menschen, auch des verurteilten Verbrechers, auch des Obdachlosen, der nicht gut riecht, auch der heimatlosen Flüchtlingsfamilie, oder der wirren alten Frau, die im Heim zwischen Wahn und Vergessen dahinlebt.
Die Idee hinter der christlichen Weihnacht ist schlicht, aber wirkungsvoll. Sie lautet: In jedem von uns ist etwas Gottähnliches zu finden. Etwas, das Würde verleiht und uns hinaushebt über unsere bloße biologische Existenz. Gott wird Mensch, nicht als Herrscher in einem Palast, sondern als Kind in einer Futterkrippe. "Freu dich, Erd und Sternenzelt", singen die Engel an der Krippe, "denn Gottes Sohn kam in die Welt!"