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Doppelte Staatsbürgerschaft

Wort zum Tage, 21.01.2023

Pfarrer Detlef Ziegler, Münster

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Ich stehe auf der Außenterrasse des Berliner Hauptbahnhofs. Von dort sehe ich die Flagge der Schweiz auf dem Dach ihrer Botschaft. Und ich denke: Da kommst du her! Denn geboren wurde ich als Schweizer. Ich wäre es gern geblieben, als ich mit dreißig Jahren Deutscher wurde. Doch damals musste ich mich entscheiden: keine doppelte Staatsbürgerschaft, entweder… oder!

Heute dagegen ist das möglich, zwei Pässe also, eine doppelte Verbundenheit, mit dem Herkommen und der Gegenwart, mit dem Land der Vorfahren und der neuen Heimat in einem anderen Land. Ich bin immer auch der, der ich war und der ich geworden bin.

Doppelte Staatsbürgerschaft! Auf der Heimfahrt von Berlin lese ich im Zug das Gedicht von Andreas Knapp, das genau diesen Titel trägt. Knapp ist selbst ein Wanderer zwischen zwei Welten; als Priester lebt er in einer kleinen geistlichen Gemeinschaft in einem Leipziger Plattenbau. In seinem Gedicht lese ich:

„mit beiden beinen auf der erde
und aufblick zum himmel

bürger dieser welt
geborgen in einer anderen

von geburt an eine steuernummer
seit ewigkeiten unverdient geliebt

biometrisches passbild
theometrisches gottesebenbild

wahlrecht in leipzig
erwählt für das himmlische jerusalem“

Doppelte Staatsbürgerschaft! Sie hält in diesem Gedicht fest, wer ich bin und woher ich komme. Das biometrische Passbild zeigt viel von mir, aber nicht alles. Dahinter steckt noch ein anderes Bild, eine theometrisches. Geschaffen bin ich also von Anfang an als Gottes Bild, sein Wesen ist mir eingezeichnet – seit Ewigkeit. Schon immer bin ich geliebt, ohne Anspruch und ohne Vorleistung, einfach so, weil ich es bin. Ich bin der, der ich geworden bin, von Anfang an, nicht nur Kind meiner Eltern, sondern auch ein Gotteskind.

Doppelte Staatsbürgerschaft. Diese reicht noch weiter, nicht nur im Blick zurück, sondern auch nach vorn, in die Zukunft. Ich bin nicht nur der, der ich geworden bin, sondern auch der, der ich sein werde. Fest verwurzelt und registriert auf dieser Erde geht doch der Blick zum Himmel, in eine Welt, die eine letzte Annahme und Aufnahme verspricht. Gott sei Dank bin ich dort fest registriert und angemeldet.

Nicht nur in Zukunft, sondern schon hier und jetzt. Und deswegen stehe ich auch mit beiden Beinen auf dieser Erde, wenn auch nur mit befristeter Aufenthaltserlaubnis. Doppelte Staatsbürgerschaft: Hier gilt kein Entweder…Oder, denn in jedem Menschen und an jedem Ort berühren sich Himmel und Erde!

Über den Autor Pfarrer Detlef Ziegler

Pfarrer Dr. Detlef Ziegler, geboren und aufgewachsen im Ruhgebiet, studierte Theologie, Philosophie, klassische Philologie und Pädagogik in Münster und München. 1985 wurde er in Münster zum Priester geweiht. Von 1990 bis 2001 war er Studienrat am Gymnasium Paulinum in Münster und danach in der Aus- und Fortbildung im Bistum Münster tätig. Zudem hatte er Lehraufträge für philosophische und theologische Anthropologie, Neues Testament und Homiletik in Münster und Paderborn.

Kontakt: ziegler@bistum-muenster.de