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Baumaßnahme

Wort zum Tage, 21.10.2024

Stefan Quilitz, Köln

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Einmal in der Woche bin ich dran, dann hole ich unseren dreijährigen Enkel von der Kita ab. Wir gehen dann über den Parkplatz der Kirche. Vor der Kirche bleibt unser Enkel stehen, schaut hinauf. "Das ist eine alte Kirche, oder?" fragt er. "Ja", murmele ich. Er denkt kurz nach und fragt dann: "Wir müssen eine neue Kirche bauen, oder?" "Ja", antworte ich wieder, eher zögerlich und leise, denn diese Kirche ist gerade mal 70 Jahre alt. Wieder denkt er kurz nach und stellt eine dritte Frage: "Wir müssen überall eine neue Kirche bauen, oder?"

Jetzt bin ich sprachlos. Da steht dieser kleine Mann neben mir und stellt diese große Frage. Müssen wir nicht alle Kirchen neu bauen? Ich weiß nicht, wie er darauf kommt. Vielleicht weil vor einigen Wochen der Turm noch eingerüstet war. Tatsächlich musste er saniert werden. Aber deswegen diese Schlussfolgerung eines Dreijährigen? Ich höre gleich den tieferen Sinn heraus, oder besser deute ihn hinein: Muss Kirche heute neu gebaut, neu gedacht werden, damit sie zeitgemäß ist, die Menschen anspricht und erreicht, auch und vor allem die jungen Menschen? Natürlich ist das eine Frage, um die Kirche und Theologie ständig ringen. Es gibt diesen lateinischen Ausdruck: "Ecclesia semper reformanda", Kirche muss immer und immer wieder reformiert werden. Vor Jahrhunderten war das schon das Thema, Mönchsorden wurden deswegen gegründet, ganze Konzile abgehalten, die Kirche spaltete sich.

Meine Gedanken gehen hin zu der Kirche, von der ich mich angesprochen, in der ich mich angenommen fühle, deren Architektur so ganz zu mir passt, die es aber so nur einmal im Jahr für eine Woche gibt. Das ist immer dann, wenn ich mich aufmache und mit "meiner" Pilgergruppe unterwegs bin. Meine Kirchengemeinde für eine Woche ist das, ohne festes Haus, stattdessen auf dem Weg. Jeder Tag ist anders, jeden Tag schauen wir neu, wie wir ihn gestalten: Wann wir in die Stille gehen? Wo wir Gottesdienst feiern können. Jeder Tag hat eine andere Architektur. Das aber führt dazu, dass wir umso mehr um die Frage ringen, wie denn diese Architektur auszusehen hat, was der Grundgedanke ist, was der Wesenskern, der Wert, die Botschaft hinter allem ist, warum wir uns überhaupt auf den Weg, auf diesen für mich so besonderen Weg machen.

Im Alltag stellen wir oft die Frage: "Worum geht’s hier eigentlich?" und zu allermeist hat diese Frage einen ernsten Hintergrund. Wir hinterfragen alltägliches Tun, weil uns der Sinn des Tuns abhandengekommen ist. Worum geht es eigentlich? – Das ist die Antwort auf die Feststellung des Enkels: "Wir müssen überall eine neue Kirche bauen, oder?"

Über den Autor Stefan Quilitz

Stefan Quilitz, Jahrgang 1959, in Hagen Westf. geboren. Studium der Germanistik, Pädagogik, Theater-, Film- und Fernsehwissenschaften in Köln. Beruflich als Journalist und Erwachsenenbildner tätig, u.a. stellvertretender Chefredakteur des Domradios und Leiter des Katholischen Bildungswerks und der Katholischen Familienbildungsstätte in Wuppertal. Vater von drei Kindern und aktuell "Teilzeitvertrag" als Großvater.