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Weisheit in Bus und Bahn

Wort zum Tage, 21.12.2022

Guido Erbrich, Biederitz

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Ich fahre mal wieder mit der Bahn. Es geht gut los. Mein ICE fällt ersatzlos aus. Im übervollen Alternativ-Zug geht`s erst nach Berlin, dann mit einer ergatterten Platzkarte sitzend bis Osnabrück. Dort böses Erwachen. Mein Zug fährt nicht mehr bis zum Zielort nach Holland. Der Grund: fehlendes Zugpersonal. Wie es weitergeht – keine Ahnung. Dann die Auskunft – ein Bus wird kommen - Schienenersatzverkehr. Massen von Leuten, Unmengen von Koffern, ich habe zu wenig Phantasie, um mir vorzustellen, wie das alles passen soll.

Nach einer Weile kommt der Bus. Clevere Jungs stapeln die großen Reisekoffer im hinteren Teil des Busses, damit mehr Platz ist. Und oh Wunder – es kommen alle rein. Umfallen kann keiner, wer sitzt, hat seine Taschen auf dem Schoß. Das ist genau die richtige Situation für eine saumiese Stimmung, fürs Schimpfen auf die Bahn und überhaupt. Aber, nix davon. Der Bus fährt los, alles schüttelt sich zurecht, da fängt ein Mädchen an zu singen. Es dauert nicht lange und andere stimmen ein.

Es wird gelacht und geklatscht. Super Stimmung im Bus. Dann packt das Mädchen eine Ukulele aus, klemmt sich zwischen Frontscheibe und Tür, um ein wenig höher zu stehen und weiter wird gesungen. „Falling in Love with you“ Auch, wenn keiner fallen kann. Und weitere Hits, die sonst im Radio laufen.

Gut, eine goldene Schallplatte gibt es dafür nicht - aber der fröhlichen Stimmung macht das nichts. Als der Bus am Ziel ist gibt es großen Applaus. Und, obwohl ich drei Stunden später ankomme – diese Verspätung hat sich gelohnt. Weil mein Frust sich in diesem Bus in gute Laune verwandelt hat.

„Ein fröhliches Herz tut dem Leibe wohl; aber ein betrübtes Gemüt lässt das Gebein verdorren. (Sprüche 17.22) - so steht´s im biblischen Buch der Sprüche. Dieser mehr als 2300 Jahre alte Text gehört zusammen mit den Büchern: Hiob, Prediger und Hohes Lied zur Weisheitsliteratur. Es ist eine Reihe, die mit Leid beginnt und mit Freude endet und ihren Lesern oder Hörerinnen auf dem Weg, „weise zu werden“, helfen will. 

Weisheit zeugt, so steht`s im Lexikon, von geistiger Beweglichkeit und Unabhängigkeit. Es befähigt ihre Träger, Dinge zu tun, zu sagen oder zu denken, die sich in der gegebenen Situation als nachhaltig sinnvoll erweisen. Weisheit lässt sich nicht vom eigenen Gefühlszustand oder Gruppenzwang einengen und wird zu den Kardinalstugenden gezählt.

Nach dieser Beschreibung habe ich im Bus eine weise junge Frau erlebt. Mit ihrer ansteckenden Freude schaffte sie es, einen ganzen Bus zu entfrusten und den Bibelspruch mit Leben zu füllen: Ein fröhliches Herz tut dem Leibe wohl; aber ein betrübtes Gemüt lässt das Gebein verdorren. Quod erat demonstrandum.

Über den Autor Guido Erbrich

Guido Erbrich, geboren 1964, ist Vater von vier Töchtern. Er lernte den Beruf des Tontechnikers bei Radio DDR und arbeitete bis 1987 beim Sender Leipzig. Danach schloss er ein kirchliches Abitur in Magdeburg ab. Sein Studium der Theologie führte ihn nach Erfurt, Prag und New Orleans. Im Bistum Dresden-Meißen war Erbrich bis 2002 Referent in der Jugendseelsorge. Danach wechselte er als Studienleiter und Referent ins Bischof-Benno-Haus nach Schmochtitz. Bis 2010 leitete Erbrich die Katholische Erwachsenenbildung Sachsen. Von 2010 bis 2020 war er Leiter der Heimvolkshochschule Roncalli-Haus Magdeburg. Seit 2020 ist er der Senderbeauftragte der Katholischen Kirche für den MDR.

Kontakt: Guido.Erbrich@bddmei.de