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Will noch jemand erlöst werden?

Wort zum Tage, 21.12.2023

Joachim Opahle, Berlin

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"O komm, o komm Emanuel, mach frei dein armes Israel" – so beginnt ein altes Adventslied, das heute noch sehr populär ist. Mehr als 3.500 Versionen davon gibt es im Internet auf Youtube. Der Text stammt aus dem Mittelalter, aus einer Zeit, mit der wir besser nicht tauschen sollten. Denn da waren Hunger, Krankheit, Krieg und Elend noch wirklich allgegenwärtig. Deswegen ist das Lied auch nicht sehr zimperlich, wenn es von körperlicher und auch seelischer Not spricht. Von "Angst und Elend" ist da die Rede, von "herumirren in Trug und Wahn" – "Die Seele fühlt hier Hungersnot".

Doch der alte Text hat auch eine Hoffnungsperspektive. Er handelt davon, dass das Tor des Himmels aufgeschlossen wird und der göttliche Heiland herabkommt zur Erde. "O komm, Erlöser, Gottes Sohn, und bring uns Gnad’ von Gottes Thron".

Ein Erlöser also soll es richten, eine Art himmlischer Supermann. Das klingt nach vergangener Zeit. Haben wir Deutschen nicht genug von sogenannten Erlösern, von starken Männern, die sich mit aggressiven Ideologien anschicken, die Massen zu begeistern. Zurecht sind wir skeptisch gegenüber Alleinherrschern, die sich zu allmächtigen Potentaten erklären und vorgeben, einfache Lösungen zu haben.

Aber Erlösung selbst ist etwas, das uns nachdenklich machen könnte. Will heutzutage noch jemand erlöst werden? Ist das Wort überhaupt noch im Gebrauch? Beim Finale der Fußball-Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien habe ich es gehört. Als Mario Götze nach verbissenem Kampf in der 113. Spielminute den Ball mit dem linken Fuß ins lange Eck des argentinischen Tores zirkelte. Ein knapper Sieg zum eins zu null. Da ging ein Aufschrei von Freude und Begeisterung durch deutsche Wohnzimmer und in den Kneipen beim Public Viewing. Da wurde Deutschland erlöst. Man konnte das Aufatmen im ganzen Land spüren.

Von Friedrich Nietzsche stammt der berühmte Spruch, die Christen müssten zu Lebzeiten schon "erlöster aussehen", damit ihre Botschaft auch glaubwürdig ist. Wohl wahr! Es würde nichts schaden, wenn Christen ihre Überzeugung auch nach außen noch mehr dokumentieren könnten. Aber es geht nicht um ein beseeltes Dauerlächeln. Und es geht auch nichtum eine heroische Erlösungstat nach Art eines Doppelwumms. Erlösung geht auch eine Spur kleiner. Zum Beispiel in der zugewandten Wertschätzung des anderen, auch wenn er schwierig ist, auch wenn er mir zur Last fällt. Das wäre die wahre christliche Coolness. Solche Erlöser bräuchten wir.

Über den Autor Joachim Opahle

Joachim Opahle, geboren 1956, ist verheiratet und hat drei Kinder. Er studierte in Freiburg im Breisgau, in Wien, Tübingen und Bamberg Katholische Theologie und Kommunikationswissenschaften. Seit 1993 ist er im Erzbistum Berlin tätig als Leiter der kirchlichen Hörfunk- und Fernseharbeit.

Kontakt: rundfunk@erzbistumberlin.de und www.erzbistumberlin.de