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Die Arbeit

Wort zum Tage, 22.05.2025

Andreas Hauber, Ellwangen

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In einem kleinen Dorf hoch über dem Lago Maggiore lebt Anna Possi. Ich habe einen Fernsehbericht über sie gesehen und auch in der Zeitung stand etwas über sie. Sie hat in diesem kleinen italienischen Dorf eine kleine Espressobar. Ich finde italienische Espressobars wundervoll, denke ich daran, rieche ich gerade zu den frischen Kaffee, höre ich raue, rauchige Stimmen Italienisch sprechen. Es gibt sie überall in Italien, deshalb ist es auch nichts Besonderes, dass Anna Possi in dem kleinen Dorf hoch über dem Lago Maggiore auch eine Espressobar betreibt.

Das Besondere ist, dass sie die älteste Barista der Welt ist. Sie ist sage und schreibe 100 Jahre alt. Aber noch immer macht sie jeden Tag ihre Bar auf, versorgt die Gäste mit Kaffee, süßem Gebäck, vielleicht mal mit einem Grappa. Sie macht das seit gut 60 Jahren so. Und wenn ich es richtig verstanden habe, dann seit 60 Jahren ohne auch nur einen Tag Unterbrechung. Anscheinend arbeitet sie seit 60 Jahren durch. In dem Fernsehbericht wirkt sie viel jünger, sie ist agil, vital, gesund. Das ist beeindruckend.

Wir brauchen solche Leute. Leute, die etwas Besonderes geschafft haben, ein besonderes Leben führen. Das besondere an Anna Possi ist aber nicht, dass sie ein besonderes Leben führt, ganz im Gegenteil. Das Besondere ist eigentlich, dass an ihrem Leben alles ganz gewöhnlich ist. Sie steht auf, arbeitet den ganzen Tag, dazwischen kümmert sie sich um ihre privaten Angelegenheiten. Würde man nicht wissen, dass Anna Possi 100 Jahre alt ist, dann wäre ihr Leben das Leben der meisten anderen. Da ist nichts Spektakuläres dran.

Eine Sache finde ich aber dennoch bemerkenswert: Und das ist ihre Haltung zu ihrer Arbeit. Ihre Arbeit, also die Espressobar, ist nichts, was von ihr getrennt ist. Sie ist etwas, das tief mit ihr verbunden ist. Anna Possi denkt auch mit 100 nicht an Ruhestand, weil sie nicht weiß, was das sein soll. Sie macht weiter, weil das, was sie seit vielen Jahrzehnten macht, ihr Leben ist. Die Arbeit ist keine Last, sondern ein Teil von ihr, etwas, das sie ausmacht. Das finde ich schön und inspirierend. Natürlich ist das keine Blaupause, die wir auf unser aller Leben legen können. Wir haben nicht alle das Glück so eine Arbeit zu finden. Aber es ist gut zu wissen, dass so etwas gelingen kann. Dass so ein Leben möglich ist.

Über den Autor Andreas Hauber

Es ist eine große Herausforderung über Gott zu sprechen. Ich denke, dass man ihn mit Worten nicht fassen kann, dass alle Begriffe abrutschen und ihr Ziel letztlich verfehlen. Sprechen über Gott kann nur eine Annäherung sein. Das versuche ich auch mit meinen Beiträgen: Mich ihm anzunähern. Ich speise meine Texte aus meinem Leben, aus dem was mir begegnet und was mich umtreibt. Das setze ich in Beziehung zu meinem Glauben. Ich war immer neugierig, wollte immer so viele Facetten des Lebens wie möglich kennenlernen. Vielleicht ist das an meinem beruflichen Werdegang abzulesen. Ich bin gelernter Krankenpfleger, habe Theologie und Philosophie studiert, war 5 Jahre auf einer Berghütte, dann in der Flüchtlingsarbeit tätig, dann Betreuer für einen jungen Mann mit Handicap und noch manches mehr, derzeit arbeite ich auf dem Bau. Ich lebe wieder in Ellwangen, wo ich 1980 auch geboren wurde.