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Des Traumas neue Kleider

Wort zum Tage, 22.07.2023

Verena Vering, Langenfeld (Westfalen)

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Papier aus Kleidern. Das macht Drew Matott mit seinem Team. Das Besondere ist, dass er dabei Menschen hilft, Traumata zu überwinden. Aber der Reihe nach.

Drew Matott ist Künstler und hat in einem Kurs gelernt, wie man Papier herstellt. Er hat erfahren, dass früher Papier aus Stoff oder Fischernetzen hergestellt wurde und sich daraufhin daran gemacht, seine eigenen Kleider zu Papier zu verarbeiten. Mit der Zeit hat er sein Handwerk perfektioniert, und irgendwann hat er gemeinsam mit seiner Familie die Kleidung seines verstorbenen Vaters in kleine Stücke geschnitten und lange eingeweicht. Dann haben sie aus dem Faserbrei gemeinsam Papier geschöpft. Dabei haben sie über ihren Vater gesprochen, erzählt, gelacht und sich erinnert.

Aus diesem Papier hat Drew Matott für jedes Familienmitglied ein Erinnerungsalbum mit Fotos vom Papa gemacht.
Die Idee hat er ausgeweitet für Menschen, die traumatisiert sind. Menschen, die Krieg erlebt haben oder gekämpft haben, Menschen, die fliehen mussten und Heimat gefunden haben, Menschen, die liebe Leute verloren haben. Daraus ist eine richtige Bewegung entstanden – das "Peace Paper Project". Drew Matott und sein Team waren schon in vielen Kriegsgebieten, und sie leiten Menschen an, die Kleidung aus der schwierigen Zeit nach und nach in kleine Fetzen zu schneiden und dabei einander zu erzählen, nicht allein mit den Erlebnissen zu bleiben. Und dann entsteht aus der Kleidung Papier. Damit kann man dann vieles machen, z.B. Alben gestalten, Friedenslieder draufschreiben oder Flyer gegen den Krieg drucken.

Drew Matott sagt: "Dadurch, dass Du Kontrolle über das Material bekommst, bekommst Du auch Kontrolle über deine Erinnerungen. Du machst ganz konkret etwas mit den Kleidern, Du ver-arbeitest sie, im wahrsten Sinne des Wortes. Und so verarbeitest Du auch, was Du damit erlebt hast. Es geht nicht darum, schwierige Sachen zu verdrängen, im Gegenteil. Indem Du z.B. aus den belasteten Kriegs-Hemden oder Hosen was anderes machst, sie sozusagen umwidmest, gibst Du ihnen eine neue Bedeutung. Du kannst die Erlebnisse in Dein Leben integrieren, ohne dass sie Dich jedes Mal umhauen."

Die Idee und das Friedens-Projekt begeistern mich. Der Weg über die Kleidung an meine schwierigen Erfahrungen zu kommen, scheint mir irgendwie machbar, das ist niederschwellig. Und ich kann konkret was tun, ich habe was in der Hand. Es läuft nicht nur über das Sprechen. Dass aus altem Leid was Neues entsteht, das ist es. Neues Material, neue Erfahrungen, neue Erkenntnisse – Frieden und vielleicht sogar neues Leben.

Über die Autorin Johanna Vering

Johanna Vering, geboren 1982 in Ostwestfalen, ist Pastoralreferentin und arbeitet als Beauftragte für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk im Bistum Münster. Nach dem Studium der Theologie in Freiburg und Graz und der Ausbildung zur Pastoralreferentin hat sie in der Erzdiözese Freiburg u.a. bei der Rundfunkarbeit am SWR gearbeitet und die journalistische Ausbildung am ifp in München absolviert. Nach fast 20 Jahren ging es zurück in die Heimat nach Westfalen und dort lebt Johanna Vering in Langenberg (Westf.). Sie ist verheiratet und hat drei Kinder.