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Etty Hillesum

Wort zum Tage, 22.11.2023

Martin Korden, Bonn

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In diesen Novembertagen gerät er wieder mehr in den Blick: Der Himmel. Der Ort, den Menschen erwähnen, wenn sie von der Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod sprechen, von der Ahnung einer anderen Welt.

Es gibt Menschen, die bei allem vermeintlichen Aufgeklärt-Sein das Bild vom Himmel nicht aufgeben können. Aber nicht nur, wegen der damit verbundenen Endlichkeit, sondern vielleicht mehr noch, weil sie ohne das Bild vom Himmel manchen Erfahrungen, die zum Leben gehören, keine Deutung mehr geben könnten. Etty Hillesum war ein solcher Mensch. Der Blick in den Himmel löste in ihr zeitlebens eine unstillbare Sehnsucht aus – und war gleichzeitig ihr Trost inmitten einer schlimmen Zeit. In diesen Tagen vor genau 80 Jahren wurde die Jüdin in Auschwitz ermordet. Bekannt wurde sie durch ihre Tagebücher. Da beschreibt sie einmal diese Sehnsucht:

"Ich spazierte durch die Dämmerung, zarte Farbtöne in der Luft, mit einem Wort herrlich. Damals fand ich es so schön, dass mein Herz zu schmerzen begann. Ich wollte es besitzen. Darum immer das schmerzliche Gefühl der Sehnsucht, die nie zu befriedigen war, das Heimweh nach etwas, das mir unerreichbar erschien."

Etty Hillesum beschreibt für mich hier die Spur zum Himmel. Als Sehnsucht, die dem Menschen innewohnt und in plötzlichen Ahnungen stark wird. Die Ahnung eines großen Zusammenhangs, eines Lebens, dessen Wirklichkeit man in manchen Momenten fühlen aber nicht erreichen kann – es ist wie ein Zuviel, das unsere Grenzen sprengt. Es mag sich offenbaren im Staunen über die Fülle der Natur. Es zeigt sich in der Liebe, die in höchste Höhen aufsteigen will, dabei aber nie an ihr Ziel gelangt.

Und nicht zuletzt zeigt sich diese Ahnung gerade auch in der Trauer, die sich nicht mit dem Tod abfinden kann. Das Leben einfach so erloschen? Das kann nicht wahr sein. Gerade aufgrund der Liebe. Sie spürt immer den Drang nach dem nicht enden wollenden. Das ist die Sehnsucht, die auch in den Zeilen von Etty Hillesum brennt: Da muss noch mehr sein, es muss eine Vollendung geben.

Der Himmel ist dafür das uralte Codewort – im Religiösen als der Ort der alles umgreifenden Nähe Gottes. Der Himmel steht dann für den Ort, an dem alles ans Ziel kommt. Das endgültige Zuhause, das allein diese Sehnsucht stillen kann.

In diesen Novembertagen mit dem Gedenken an die Verstorbenen gerät er wieder in den Blick: Der Himmel. Und es gibt Menschen, die gerade jetzt in den dunklen Tagen diese Sehnsucht danach am stärksten spüren – wie Etty Hillesum vor 80 Jahren.

Über den Autor Martin Korden

Martin Korden, geboren 1980 in Adenau, ist Beauftragter der Bischofskonferenz für Deutschlandradio. Eine erste Hörfunkausbildung erhielt er im Rahmen seines Wehrdienstes beim Truppenbetreuungssender "Radio Andernach". Anschließend studierte er in Trier und Brixen Katholische Theologie. Es folgte das journalistische Volontariat bei der Katholischen Fernseharbeit und eine langjährige Tätigkeit für DOMRADIO.DE in Köln.

Kontakt: m.korden@dbkradio.de