Ich bin jetzt Mitte 60, immer wieder mache ich die Erfahrung, dass viele Selbstverständlichkeiten, die über Jahre meinen Alltag und das Familienleben prägen, ganz unbemerkt enden. Sie sind vorbei, ohne dass es zunächst aufgefallen ist. Und dann kommt mir oft der Gedanke: Warum hat mir niemand gesagt, dass es das letzte Mal war?
So habe ich jahrelang unsere Kinder auf dem Fahrrad bugsiert oder auf den Schultern getragen, immer und immer wieder wollten sie hinauf. Abends vor dem Schlafen haben wir ständig Geschichten erzählt. Und irgendwann merkte ich, du fährst gar kein Kind mehr, du trägst keines mehr auf den Schultern, keines will mehr eine Gute-Nacht-Geschichte hören.
Leise Wehmut klingt da mit über Lebensabschnitte, die unwiederbringlich vorbei sind und die still und unbemerkt enden. Und das gilt ja nicht nur für das Leben mit Kindern. Es gibt auch anderer solcher Einschnitte im Leben, wenn Freizeit-Gewohnheiten verloren gehen oder Arbeitsstrukturen sich ändern, so wie in den vergangenen Jahren bedingt durch die Pandemie, oder wenn ich Freunde aus den Augen verliere und nicht mehr treffe. Da geht’s nicht nur um Wehmut, es kann auch schmerzlich sein. Und ich fühle mich verletzt.
Würde sich daran aber etwas ändern, wenn mir jemand sagt, Achtung, dies ist das letzte Mal? Würde ich solche Einschnitte in meinem Leben dann eher akzeptieren oder gar zelebrieren, würde es mir helfen?
Mir fällt hier ein deutliches Ja oder Nein schwer. Ich weiß jedenfalls aus all den Jahren, dass die Verletzlichkeit so oder so bleibt. Was ich gelernt habe, besonders bei den Einschnitten im Familienleben: Wenn etwas unbemerkt zu Ende geht, dann ja auch gerade deshalb, weil eine Veränderung ansteht, die sich in den Vordergrund schiebt. Wenn die Kinder das Einschlaf-Ritual mit dem Papa nicht mehr brauchen, war das für mich ein wehmütiger Einschnitt – für die Kinder aber ein großer Fortschritt.
Und: Es bleibt ja etwas Wichtiges und Kostbares. Das sind die Erfahrungen, die man macht, gemeinsam mit Kindern und anderen, die Erinnerungen an schöne Erlebnisse und Lebensabschnitte. Und an deren Ende sich die Tür zu etwas Neuem öffnet.
All diese kleinen Veränderungen, die mir erst im Nachhinein bewusst werden, sind für mich eine Schulung für die großen Einschnitte im Leben, wenn Lebenswege sich trennen, wenn liebe Menschen sterben, ohne dass man sie vielleicht noch einmal gesehen hat. Dann weiß ich, Veränderungen und Verluste gehören zum Leben dazu und auch die Verletzlichkeit.