Als Kind in den späten sechziger Jahren hat meine Mutter mich immer angehalten, brav einen "Diener" zu machen, wenn es jemand zu begrüßen gab. Gemeint war damit, dass ich mich verbeugen sollte. Und zwar möglichst tief. Ich habe das damals immer gehasst. Irgendwie kam es mir unterwürfig vor, geradezu erniedrigend und das wollte ich nicht. Diener zu sein ist nunmal nicht sonderlich beliebt. Bis heute nicht.
Sehr viel lieber möchten Menschen Chef oder Chefin sein. Etwas zu sagen haben. Wichtig erscheinen. Und mancher glaubt ja auch, das durch Pomp und große Gesten für alle sichtbar herausstellen zu müssen. Als Inszenierung politischer Macht lässt sich das allabendlich in den Fernsehnachrichten bestaunen, und schwankt, je nach Land und Kultur, zwischen kühlem Understatement und überladenem Protz. Zwischen nüchternen Technokraten und aufgeblasenen Alleinherrschern, die vorgeben, die Größten zu sein.
Fast wie ein Hohn wirkt da ein Satz aus der Bibel, der das alles auf den Kopf stellt: Wer unter euch der Erste sein will, der soll der Diener aller sein. Ein steiler Anspruch. Jesus hat ihn gesagt, als er seinen Jüngern heftig ins Gewissen geredet hat. Die hatten sich nämlich unterwegs darum gebalgt, wer denn nun der Größte unter ihnen ist. Wichtigtuerei und pubertäres Gerangel gab es eben schon immer.
Doch Jesus wollte sich auf solche Spielchen nicht einlassen. Er hatte eine Mission und die galt dem "Reich Gottes". So hat er es genannt. Davon hat er gesprochen, immer und immer wieder. In diesem Reich Gottes gelten andere Maßstäbe und manchmal scheinen sie die Regeln dieser Welt, die uns so wichtig sind, geradezu auf den Kopf zu stellen. In diesem Reich gibt es nämlich nur einen Herrscher, und das ist Gott.
Das Oben und Unten, die Klassen und Schichten, in die wir uns so gerne einteilen, existieren nicht mehr. Und so stelle man sich eine Gesellschaft vor, in der sich jede und jeder dafür einsetzt, dass es dem Anderen auch wirklich gut geht. Am Ende profitieren davon alle. Und der Größte wäre in dieser Gesellschaft tatsächlich der, der am meisten zum Gemeinwohl beiträgt. Zugegeben, eine Utopie.
Das Schöne daran ist aber, dass das nicht so sein muss. Anfangen kann ich eigentlich schon heute. Allein schon dadurch, dass ich mich mal nicht zuerst um mich drehe. Darum, was Ich denn nun will, Ich und wieder Ich! Sondern mich zuerst frage, was ich heute auch für andere tun möchte. Für uns alle, die Gesellschaft. Das Reich Gottes ist das nicht, aber vielleicht ist es ja ein kleiner Schritt darauf zu.