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Über die Steppe hinaus

Wort zum Tage, 24.10.2024

Stefan Quilitz, Köln

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Es ist eine der bekanntesten Erzählungen in der Bibel: Die Geschichte von Moses, der sein Volk aus Ägypten herausführt. Es gibt darin zu Beginn im 2. Buch Mose einen kurzen, scheinbar beiläufigen Satz, der aber von großer Bedeutung ist. Denn ohne diese Stelle gäbe es die ganze Mosesgeschichte nicht, keinen Auszug aus Ägypten. Da wird berichtet: Moses ist sesshaft geworden, er weidet die Schafe und Ziegen seines Schwiegervaters. Und dann kommt dieser eine kurze Satz: "Eines Tages trieb Moses das Vieh über die Steppe hinaus."

Moses verlässt die bisherigen Weideplätze, die gewohnte Umgebung. Irgendetwas treibt ihn an, über "die Steppe hinaus" zu gehen. Ist es Neugierde? Eine plötzliche Eingebung? Oder spielt er schon länger mit dem Gedanken? Jedenfalls: Moses bricht auf. Und nur so gelangt er zum Gottesberg Horeb, nur so findet er zu seiner Lebensbestimmung, denn auf dem Berg Horeb erscheint Gott dem Moses in Form eines brennenden Dornbuschs. Da erhält Moses von Gott seinen Auftrag.

Aufbrechen, loslaufen, einfach mal was Neues wagen und entdecken, gewohnte Grenzen überschreiten – das klingt hier bei Moses so selbstverständlich. Und ja, es gehört ja auch permanent zum Leben des Menschen dazu. Schon als Kleinkind entdeckt der Mensch Zug um Zug die Welt um sich her, er erweitert ständig seine Grenzen, körperlich, geistig und tatsächlich auch räumlich. Aber zugleich ist das auch alles andre als selbstverständlich, besonders wenn es um die wesentlichen Weichenstellungen im Leben geht. Denn Aufbrechen bedeutet ja immer auch, persönliche Grenzen zu überschreiten. Innere Grenzen müssen überwunden werden. Ich muss mich selbst "überwinden" – aber meist "winde" ich mich, etwas zu ändern und aufzubrechen. In mir muss es erst einmal gären und reifen.

Wer schon einmal ein Sauerteigbrot selbst gebacken hat, weiß was so ein Gärungsprozess bedeutet, was dafür nötig ist. Die Zutaten müssen stimmen, es muss gerührt, geknetet werden, vor allem braucht der Teig Zeit, auch Ruhe und die richtige Temperatur, um zu gären. Dann aber geht das Brot auf, es bricht auf und das Volumen des Brotes wird deutlich größer – es hat seine Grenzen erweitert.

Damit das alles so gelingt, Aufzubrechen, Grenzen zu überschreiten, muss, so denke ich, auch ein Segen darüber liegen. So wie früher meine Großmutter das Brot segnete, bevor sie es anschnitt. Im Buch der Chronik, um noch mal die Bibel zu zitieren, steht die Bitte eines Königs: "Herr segne mich und erweitere meine Grenzen." (1 Chronik 4,10)

Über den Autor Stefan Quilitz

Stefan Quilitz, Jahrgang 1959, in Hagen Westf. geboren. Studium der Germanistik, Pädagogik, Theater-, Film- und Fernsehwissenschaften in Köln. Beruflich als Journalist und Erwachsenenbildner tätig, u.a. stellvertretender Chefredakteur des Domradios und Leiter des Katholischen Bildungswerks und der Katholischen Familienbildungsstätte in Wuppertal. Vater von drei Kindern und aktuell "Teilzeitvertrag" als Großvater.