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Danksagen

Wort zum Tage, 25.04.2023

Martin Wolf, Mainz

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Eine Frau, die schwer erkrankt ist, hadert mit ihrem Schicksal. Die Wahrscheinlichkeit, diese Diagnose zu bekommen, sagt sie mir, habe bei weniger als fünf Prozent gelegen. Darauf hatte sie gehofft. Und nun hat sie es doch getroffen. "Warum ausgerechnet ich? Warum konnte ich nicht bei den anderen 95 Prozent sein?"

Ich schweige. Auf die Frage habe ich keine Antwort. Weil es Fragen gibt, auf die es keine Antworten gibt. Die hier gehört dazu. Dabei ertappe ich mich auch selbst immer wieder dabei, dass ich schnelle, griffige Antworten haben möchte. Weil sie mir das Unverständliche, das mich beunruhigt, weil ich es nicht im Griff habe, irgendwie greifbar machen sollen. Oft endet das dann in so simplen Erklärungen wie: Er hat diese Krankheit bestimmt bekommen, weil … Sie ist so plötzlich gestorben, weil … Und während ich mir die vermeintlich griffige Erklärung noch im Kopf zurecht lege merke ich schon: Nein, halt! Wenn du ehrlich bist, dann ist das alles Blödsinn. So simpel und eindimensional ist es im Leben einfach nicht. Und sicher auch nicht bei Gott.

Wie es scheint, hat Gott uns nämlich nicht die rundum perfekte Schöpfung hinterlassen. Zumindest aus menschlicher Sicht. Mir würde spontan eine ganze Menge einfallen, was man durchaus noch besser machen kann. Nicht nur, dass es da so viel furchtbares Leid gibt, das manche Menschen unbarmherzig trifft. Sondern vor allem, warum es so ungleich verteilt ist, und obendrein auch noch ungerecht. Jedenfalls nach meinen Maßstäben.

Je älter ich werde, umso öfter spüre ich, wie dankbar ich bin, dass ich bis jetzt verschont wurde von schweren Krankheiten und persönlichen Katastrophen. Als gläubiger Mensch bringe ich meine Dankbarkeit dafür auch im Gebet vor Gott. Und doch kann ich beim Danke-Sagen die Frage nicht ausblenden, warum ich nun gesund bin und meine Kollegin so schwer erkrankt ist? Warum ich hier glücklich und in Frieden leben darf und nicht die verzweifelte Kriegswitwe in der Ukraine, oder das Erdbebenopfer in Nordsyrien, das alles verloren hat? Mein Dank an Gott bleibt mir manches Mal im Hals stecken. Weil ich ahne, dass der Weg zwischen Glück und Katastrophe oft ganz schmal sein kann. Auch für mich.

Auf all diese Fragen hätte ich auch gern eine Antwort von meinem Gott. Aber der schweigt. Und wie es scheint, werde ich die Antwort darauf in diesem Leben wohl nicht mehr bekommen. Doch von ihm lassen kann ich auch nicht. Denn Glauben heißt darauf zu hoffen, dass Gott trotz allem da ist. Schweigend vielleicht, aber da. Bei denen, die ein Schicksal schwer getroffen hat, aber auch bei mir.

Über den Autor Martin Wolf

Martin Wolf wurde 1962 in Schwerte geboren. Er studierte Katholische Theologie an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster. Seit 1990 ist er beim Bistum Speyer beschäftigt. Von 1993 bis 2004 war er als Pastoralreferent in verschiedenen Pfarreien des Bistums Speyer tätig. 2004 wurde er Leiter der Katholischen Hochschulgemeinde in Kaiserslautern. Als Autor ist er in der Katholischen Rundfunkarbeit bereits seit 2002 engagiert. Von 2010 bis 2017 war er auch Beauftragter des Bistums Speyer beim Südwestrundfunk (SWR) und Saarländischen Rundfunk (SR). Seit Juni 2017 ist Martin Wolf Landessenderbeauftragter der Katholischen Kirche beim SWR in Mainz. Wolf ist verheiratet und hat gemeinsam mit seiner Frau zwei Töchter.