Ich hatte ein bemerkenswertes Erlebnis. Es fällt in die Kategorie, einen Spiegel vorgehalten zu bekommen. Im übertragenen Sinn. Und das war so: Mein Sohn sitzt im Wohnzimmer. Er liebt es, sich auf seinem Handy irgendwelche Autos anzuschauen. Aufgrund seiner Behinderung kann er nicht lesen und nicht schreiben. Doch Google ist ihm da eine große Hilfe. Es gibt ja fast nichts, was Google nicht weiß. Also drückt mein Sohn auf das Mikrofon im Display und nennt irgendeine Automarke. Binnen kürzester Zeit erhält er die passenden Bilder dazu.
So auch an jenem Tag, von dem ich hier erzähle. Während er im Wohnzimmer sitzt, stolpere ich über seinen Schulrucksack, den er achtlos im Flur hingeworfen hatte. Zu meinem Pech habe ich eine Tasse Kaffee in der Hand, die beim Stolpern reichlich überschwappt. Entsprechend geladen stürze ich ins Wohnzimmer und poltere los: "Wie oft soll ich dir sagen…" Mein Sohn, völlig arglos, zuckt zusammen. Was ich nicht weiß, dass er in genau diesem Moment Google eine Frage gestellt hat. Ich merke es, als plötzlich die automatische Stimme sagt: "Entschuldigung, ich habe dich nicht verstanden!" Ich bin erstmal sprachlos und muss dann lachen. Der Ärger über den verschütteten Kaffee ist fast weg.
Ein bisschen hängt mir das Erlebnis noch nach. Da muss mich eine Suchmaschine daran erinnern, dass ich nicht zu verstehen bin, wenn ich mich im Ton vergreife. Mir scheint, ich bin nicht die Einzige, die das manchmal vergisst. Wie lässt es sich sonst erklären, dass der Ton spürbar rauer geworden ist in unserer Gesellschaft? Wie soll man sich da verstehen, wenn alles auf Krawall gebürstet ist.
Ich frage mich: Wo fängt eigentlich die Nächstenliebe an? Wenn ich jemanden unterstütze, weil er meine Hilfe braucht? Oder wenn ich Geld spende, weil Menschen von einer Katastrophe betroffen sind? Ich glaube, Nächstenliebe beginnt schon mit den wohlwollenden Gedanken meinen Mitmenschen gegenüber. Und mit der Art, wie ich mit jemandem rede. Wenn ich den Anderen achte, werde ich ihm meine Argumente nicht wie ein nasses Handtuch um die Ohren schlagen. Obwohl mir bei manchen Zeitgenossen sehr danach ist. Da hilft es mir schon, mich zu fragen: Was möchte ich, wie mit mir umgegangen wird?