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Altvertrautes Miteinander

Wort zum Tage, 25.10.2024

Stefan Quilitz, Köln

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Es ist der frühe Abend an einem besonderen Tag. Besonders deshalb, weil ich mit einem alten Klassenkameraden verabredet bin – nach über 40 Jahren. Der Ort unseres Treffens ist vertraut aus Kindheitstagen, es ist unser Stadtteil von damals, in dem wir aufgewachsen sind. Jahrelang trafen wir uns hier morgens im Bus, teilten den Schulweg.

In der Dämmerung sehe ich ihn, erkenne ihn auf den ersten Blick gleich wieder. Sein Haar ist fast weiß geworden, Falten oder besser Fältchen durchziehen sein Gesicht, aber er ist es, und wie es scheint, ist er seinem Brillengestell von damals treu geblieben. Und sehr schnell passiert es – sozusagen auf den zweiten Blick –, dass die Falten in seinem Gesicht verschwinden, ich sehe sie nicht mehr, übersehe sie; es ist jetzt sein Gesicht von damals, ganz so als hätten wir uns gestern zuletzt gesehen.

Wir vertiefen uns in das Damals. Schon die Grundschule meisterten wir zusammen, wir absolvierten gemeinsam Tanzkurse, eine Radtour quer durch Deutschland und schließlich auch den Matheleistungskurs, bevor sich unsere Wege trennten.

Und wir erzählen uns vom Heute, von unseren Lebensläufen, von Familie und Beruf. Wir wissen von unseren damaligen Talenten, Vorlieben und auch Schwächen und hören gespannt, was beim Anderen daraus wurde.

Eingebettet ist all dies stundenlange Erzählen in eine besondere Atmosphäre, in ein vertrautes Miteinander, das so ganz selbstverständlich wieder da ist. So lange Zeit haben wir uns nicht gesehen und doch können wir uns gegenseitig so viel und so offen von uns erzählen. Manche Details von damals haben wir ganz unterschiedlich in Erinnerung, haben sie im Lauf der Jahre anders gewichtet. Was dem einen besonders wichtig war, hat der andere vergessen. Aber, auch das gehört zu diesem altvertrauten Miteinander, wir lassen es so stehen. Wir schauen auf uns und unsere Lebenswege, und wir setzen unsere Lebenswelt von damals wie ein Puzzle wieder zusammen, jeder von uns trägt seine Puzzleteile dazu bei.

Auf der Heimfahrt hänge ich dem nach: Dass so ein Miteinander, das wir über so lange Zeit gar nicht gepflegt haben, über Jahre und Entfernung hin im Innern verborgen bewahrt wurde und dann auf ein, zwei, drei Blicke hin wieder da ist und trägt. Und ich merke, wie gut mir das tut, wie Vertrauen überhaupt so wichtig ist fürs Leben. Auf dem wir dann aufbauen können, um unseren eigenen Weg zu gehen.

Über den Autor Stefan Quilitz

Stefan Quilitz, Jahrgang 1959, in Hagen Westf. geboren. Studium der Germanistik, Pädagogik, Theater-, Film- und Fernsehwissenschaften in Köln. Beruflich als Journalist und Erwachsenenbildner tätig, u.a. stellvertretender Chefredakteur des Domradios und Leiter des Katholischen Bildungswerks und der Katholischen Familienbildungsstätte in Wuppertal. Vater von drei Kindern und aktuell "Teilzeitvertrag" als Großvater.