Newsletter

"All das Schöne"

Wort zum Tage, 26.03.2025

Claudia Zinggl, Triefenstein

Beitrag anhören

Wenn Eltern psychisch krank werden, sind immer auch ihre Kinder in Mitleidenschaft gezogen und vielfältigen Belastungen ausgesetzt. Kinder können die Krankheitssymptome nicht verstehen. Oft fühlen sie sich schuldig und wissen nicht, wie sie sich richtig verhalten sollen. Wie kann ein Kind darauf reagieren, wenn die eigene Mutter nach einem Suizidversuch im Krankenhaus liegt?

Von dieser Situation geht das Theaterstück "Every brilliant thing" von Duncan Macmillan aus, eine herzergreifende und völlig unsentimentale Komödie über eine traurige Krankheit. Der Titel der deutschen Version "All das Schöne" lässt erahnen, was dieses Kind unternimmt. Es beginnt eine Liste zu schreiben mit all dem, was es schön findet auf der Welt: Eiscreme zum Beispiel oder Sonne auf der Nasenspitze fühlen. Und das Kind hofft, dass die Depressionen der Mutter aufhören, wenn sie die einzelnen Punkte liest, die das Leben reich und freundlich machen. Leider wird dadurch nicht alles gut und schön. Trotzdem fügt sich ein Schönes an das andere. Die Liste wird immer länger und bildet das Leben des Heranwachsenden ab mit allen Höhen und Tiefen. Am Ende des Stücks umfasst die Liste über eine Million Gründe, warum es sich zu leben lohnt.

Mit treffsicherem Gespür für das, was helfen könnte, setzt das betroffene Kind im Theater das um, was viele wissenschaftliche Untersuchungen der vergangenen Jahre ergeben haben: In der Begegnung mit etwas Schönem  werden im menschlichen Gehirn die Reize ausgelöst, die das Gefühl von Belohnung hervorrufen. Schönes zu empfinden – das kann Stress verringern und Wohlbefinden fördern. Schönes kann Begeisterung wecken und Zuversicht vermitteln.

In manchen Fällen kann Schönheit sogar therapeutische Wirkung haben. Regelmäßig hat der Schriftsteller Fjodor Dostojewski schöne Gemälde betrachtet, um in all den Abgründen des Lebens bestehen zu können. Von ihm stammt die berühmt gewordene Aussage: "Schönheit wird die Welt retten." Dostojewski meint damit nicht makellose, oberflächliche Ästhetik, sondern die Schönheit, die das Herz berührt. So stimmt er überein mit der Sichtweise von Christian Morgenstern, der sagt: "Schön ist eigentlich alles, was man mit Liebe betrachtet."

Viele Bühnen nehmen das Stück "All das Schöne" immer wieder in ihren Spielplan. Das ist nur zu befürworten. Die Zuschauer im Publikum werden unmittelbar einbezogen und beginnen, darüber nachzudenken, was für sie das Leben lebenswert macht. Und manch eine legt bereits in Gedanken selbst eine Liste an mit all dem Schönen im eigenen Leben.

Über die Autorin Claudia Zinggl

Claudia Zinggl Theologin (JMU Würzburg), Geragogin (PH Karlsruhe). Bis zum Eintritt in die nachberufliche Phase Pastoralreferentin im Bistum Würzburg mit Aufgaben in  der Pfarreiseelsorge, in der Bildungsarbeit und in der kirchlichen Seniorenarbeit. Verfasserin von Beiträgen "Auf-ein-Wort" und "Katholische Morgenfeier" (BR).