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Im Unglück getragen

Wort zum Tage, 27.02.2023

Peter Kloss-Nelson, Berlin

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"Das Leben ist eines der schönsten und der schwersten, die es gibt." Die allermeisten werden diesem Satz wohl zustimmen. Das Zusammengehen von Schönem und Schwerem auszuhalten und zu gestalten ist eine Lebensaufgabe für alle, egal was sie glauben oder erhoffen. Was denke ich, wenn die Katastrophe über mich hereinbricht? Was tue ich, wenn ich nicht erfolgreich oder noch schlimmer vom Pech verfolgt bin?

Auf einer kurzen Reise bekam meine Frau unlängst eine Nachricht über Facebook von einer ihr unbekannten Frau. Die teilte ihr mit, dass sie das Portemonnaie meiner Frau samt Ausweis und aller sonst wichtigen Plastikkarten auf der Rasthoftoilette gefunden und mitgenommen hat. Sie wollte es nicht an der Kasse des Rasthofs abgeben und schlug ein Treffen auf dem in unserer Fahrtrichtung nächsten Rasthof in 30 Kilometer Entfernung vor. Ich dachte mir: "Komisch, warum gibt die das Portemonnaie nicht einfach an der Kasse ab?" Mir schwante schon Schreckliches: Konnten wir der Frau trauen? Hatte Sie den Inhalt des Portemonnaies womöglich schon genutzt? Aber warum dann ein Treffen anbieten?

Nach 30 Kilometer Zeit zum Nachdenken wurde uns klar: es gibt gar keine bessere Lösung, um möglichst schnell wieder an das Portemonnaie zu kommen. Hätten wir selbst den Verlust erst bei der Weiterfahrt bemerkt, hätte es einige Zeit und Mühe gekostet, zurück zum Rasthof zu fahren, egal ob wir uns mit einem ehrlichen Finder oder der Kassiererin getroffen hätten. Die Facebook-Nachricht und die Übergabe am nächsten Rasthof waren geniale Lösungen. Und wie sich letztlich zeigte, haben sie uns obendrein tatsächlich eine Begegnung mit Leuten beschert, die für uns zu Engeln geworden sind,
weil sie ihr eigenes Vorankommen zu unseren Gunsten hintangestellt haben.

Glück im Unglück oder in meiner frommen Deutung der Ereignisse: Im Unglück kann sich auf verschlungenen Wegen zeigen, dass mein Leben doch getragen ist von Liebe und Wohlwollen – so paradox das klingen mag. Leonhard Cohen drückt das so aus: "There is a crack in everything. That’s how the light gets in." In allem – auch dem Schweren – gibt es einen Riss, einen Spalt, durch den himmlisches Licht fällt. Dieses Licht löst das Schwere nicht einfach auf. Es bietet mir
jedoch eine andere, positive Sichtweise auf das an, was mir da so problematisch oder leidvoll entgegenkommt. Nicht selten braucht es dafür Zeit.

Wer sich die Mühe macht, den Riss zu finden, dem könnte irgendwann ein Licht aufgehen.

Über den Autor Peter Kloss-Nelson

Peter Kloss wurde 1961 in Berlin geboren und begann 1990 seine Tätigkeit als Pastoralreferent zunächst im Bezirk Wedding. Spätere Einsätze folgten in Reinickendorf, in der Geschäftsstelle des ersten ökumenischen Kirchentags 2003, in der Begleitung von Veränderungsprozessen als Gemeindeberater und als Referent für Pastoral- und Gemeindeentwicklung im Dezernat Seelsorge des Erzbischöflichen Ordinariats Berlin. Heute ist er im Personaldezernat Referent für Einsatzplanung und -begleitung von pastoralem Personal.

Kontakt: peter.kloss@erzbistumberlin.de