Ab heute ist es wieder so weit. Piraten sitzen neben mir in der Bahn, die Brötchen in der Bäckerei werden bei einer Prinzessin bestellt und der Kaffee von einem Schmetterling geliefert. So oder so ähnlich kann es einem jedenfalls in Köln, Düsseldorf oder anderen Orten im Rheinland ergehen, denn von heute bis zum Aschermittwoch wird hier der Straßenkarneval gefeiert.
Viele, die von außerhalb auf das Geschehen gucken, sind wahlweise amüsiert, irritiert oder abgeschreckt. Und zugegeben, natürlich gibt es Exzesse an diesen Tagen, die nicht nötig wären und eigentlich auch nicht zum Karneval gehören.
Denn im Kern geht es beim Karneval darum, ausgelassen zu feiern, indem man sich verkleidet, tanzt und so den oft tristen Alltag für ein paar Tage ausblendet. Man könnte auch sagen, wer Karneval feiert, feiert das Leben. Und das ist ein ganz wichtiger Aspekt meines Glaubens. Gott liebt das Leben in all seinen Facetten, sogar über den Tod hinaus. Das feiern Christ:innen an Ostern als einen ganz zentralen Teil ihres Glaubens.
Von Zeit zu Zeit tut es meiner Meinung nach mal ganz gut, Gedanken auszublenden, über die man sich sonst stundenlang den Kopf zerbricht. Mir scheint das auch deswegen hilfreich, um anschließend mit einem anderen Blick wieder all die Herausforderungen angehen zu können, die vor einem liegen.
Im Karneval werden umgekehrt auch nicht einfach alle Probleme weggewischt. Denn in dem fröhlichen Treiben schwingt auch oft eine soziale Komponente mit. Viele Karnevalsgesellschaften unterstützen caritative Projekte. Und auch die Musik ist nicht nur auf Unterhaltung ausgelegt. Viele Karnevalslieder enthalten nachdenkliche Zeilen. Oft werden darin aktuelle Themen angesprochen wie Armut, Fremdenfeindlichkeit oder die Klimakatastrophe. Sogar Gott – oder wie man im Rheinland sagt: Der Herrjott – wird immer wieder explizit genannt, und das verstehe ich durchaus als ernstgemeinte Liedzeile. Aber auch Einsamkeit oder der Verlust eines geliebten Menschen werden thematisiert. "Komm wir feiern auch mit denen, die im Himmel sind", heißt es beispielsweise bei der Band Kasalla in einem Song. Damit machen sie deutlich: die Trauer hat auch ihren Platz.
Für mich sind gerade das Songs, die das Herz berühren und damit den ganzen Menschen ansprechen. Auch das wird von Kasalla für mich sehr zuversichtlich formuliert: "Auf die Liebe und das Leben, auf die Freiheit und den Tod […] Alle Gläser hoch!"